Abseits der Touristenpfade von Dubrovnik, Split und Hvar zeigt sich die Perle an der Adria von einer ganz anderen Seite. Erlebe das Straßenleben der Hauptstadt Zagreb mit seinen quirligen Märkten, Kaffee-Locations und dem Nachtleben unter nostalgischen Laternen.
Die Kircheglocken erklingen über den roten Dachziegeln von Gornji Grad-Medveščak, während die morgendliche Rushhour in der Altstadt beginnt: Büroangestellte flitzen an barocken Fassaden im Wiener Stil vorbei, überfüllte Straßenbahnen rattern entlang kommunistischer Bauten aus der Zeit Titos. Nachzügler essen schnell noch bosnische Backwaren und Studenten versammeln sich vor Beginn ihrer Vorlesung an einem römischen Brunnen zum Schwätzchen. Über dem ganzen Treiben wacht der auf einem Hengst sitzende Joseph Jelačić von Bužim, ein Volksheld und Symbol der kroatischen Unabhängigkeitsbewegung; sein Antlitz in Bronze wurde auf dem zentralen Ban-Jelačić-Platz verewigt, auch eine Banknote der kroatischen Währung Kuna zeigt sein Konterfei. Es ist genau diese Kulturgeschichte, die Zagreb so interessant macht. Auf dem Dolac-Markt preisen die Händler ihre Souvenirs an Ständen an, die schon seit Jahrhunderten mit Marionetten, Holzspielzeug und Lebkuchenherzen ausgestattet sind. Und auf dem Turm Lotrščak wird seit 1876 jeden Nachmittag Punkt zwölf eine Kanone abgefeuert. Das Ritual, das einst den Bewohnern anzeigte, wann genau Mittag ist, gehört zu Zagreb wie der Kanonier, der den Schuss noch immer händisch abfeuert – während die Gläubigen ihre Hände in dem kirchlichen Meisterwerk des Landes, der monumentalen Sandsteinkathedrale, zum Gebet falten.
Nichts davon wäre allerdings ohne eine andere heilige Tradition möglich: die Zubereitung von dunklem Kaffee nach türkischem Vorbild. Ein Ort, an dem das Barrista-Handwerk meisterlich zelebriert wird heißt „Cogito Coffee“, ein Startup mit einer Destillerie in einer restaurierten Glühlampenfabrik. „Niemand geht zur Arbeit, bevor er nicht mindestens zwei Tassen getrunken hat“, scherzt Besitzer Matija Belković bei der Zubereitung eines doppelten Espressos. „Vier sind normal und ohne Kaffee würde Zagreb zum Stillstand kommen.“ Neben ihrer Koffeinsucht pflegen die rund 800.000 Einwohner ihre etwas ironische Liebe zum kroatischen Wissenschaftler Nikola Tesla. Der Physiker aus dem 19. Jahrhundert veränderte den Alltag durch seine Erfindung des Wechselstroms, kam aber nur einmal nach Zagreb, nämlich als er im Jahr 1892 das Parlament von der Finanzierung seiner Pläne überzeugen wollte. Es gelang ihm zwar nicht, aber er und sein Vermächtnis sind präsent. Nicht zuletzt durch zwei nach ihm benannten Bars und ein markantes Wandbild, auf dem er neben den anderen großen Wissenschaftlern Zagrebs abgebildet ist: Eduard Penkala, der den Füllfederhalter und die Wärmflasche patentierte, sowie David Schwarz, der Erfinder des ersten Luftschiffs.
Zagreb wurde erst im Jahr 1907 elektrisch beleuchtet. Warum, zeigt ein Altstadt-Spaziergang in der Dämmerung, bei dem die vielen Gaslaternen ins Auge fallen. Diese wurden 1863 errichtet und noch heute gibt es 214 Lampen, die jeden Abend von Hand angezündet werden. Dann erwacht Tkalčićevastraat im Schatten des grün-goldenen Turms der Marienkirche langsam zum Leben; die Bars füllen sich peu à peu. Bis zum Ersten Weltkrieg war fast jedes Haus auf diesem Boulevard ein Bordell, aber inzwischen zieht die Straße ein anderes Publikum an. Viele Besucher kommen hierher, um Rakija (Obstbrand) oder kroatisches Feuerwasser zu probieren. In der „Rakhia Bar“ schenkt Barfrau Helena Hrastov ein riesiges Sortiment an Schnäpsen ein. Zuerst Kirsche, dann getrocknete Pflaume, Apfel und Zimt, Lavendel, Walnuss, Erdbeere und zu guter Letzt Weißbeerige Mistel. „Meine Großmutter trinkt jeden Morgen einen Schnaps, um ihren Rachen zu säubern, also ist das quasi eine Familientradition“, sagt Helena und lacht. Genau wie jeder Abend mit Rakija endet, beginnt jeder Tag wieder mit einem starken Kaffee. Kein Wunder, dass die Einwohner so süchtig nach ihm sind.
Was man außerdem auf einem Roadtrip durch Kroatien nicht verpassen darf, findest du in der April/Mai-Ausgabe 2019 des Lonely Planet Magazins: Außerdem Gründe, warum Cáceres einen Besuch wert ist, tolle Wochenendtrips, ungewöhnliche neue Hotels und vieles mehr.
Alle Infos zum Magazin findest du hier.
Text: Mike MacEacheran l Fotografie: Justin Foulkes