Mit ihren verwitterten Hausfassaden und bunten Oldtimern wirkt Kubas Hauptstadt wie eine Filmkulisse. Dahinter spielt sich das wahre Leben der Locals ab. Und das muss unbedingt entdeckt werden. Vorhang auf für sechs besondere Schauplätze!
Die Callejón de Hamel in der Altstadt Havannas ist ein einziger Farbrausch. Rechts und links säumen Hausmauern mit gigantischen Graffitis die asphaltierte Straße. Auf den Bürgersteigen stehen bunte Skulpturen, die aus Motorteilen oder zerbeulten Badewannen gefertigt wurden. Musik wabert durch die Luft. „Yéyé caré, yéyé caré …“, ertönen die Stimmen, die den Rhythmus einer sanduhrförmigen Batá-Trommel begleiten. Dazu das Geschepper einer Shékere, einer afroamerikanischen Rassel, die aus einer polierten, mit Kaurischnecken behängten Kürbisfrucht besteht.
In einem kleinen Innenhof wirbelt eine Frau in azurblauem Kleid über den grob gepflasterten Boden. Sie heißt Thairumy und bewegt sich zunächst allein im Takt der Klänge, bevor nach und nach immer mehr Tänzerinnen dazukommen. Sie schwingen ihre Tellerröcke, reißen die Arme hoch und strahlen mit der karibischen Sonne um die Wette.
Was aussieht wie eine einstudierte Performance ist tatsächlich ein inbrünstiges Gebet. Denn die Callejón de Hamel ist das Zentrum von Havannas afrokubanischer Gemeinde, der die jungen Frauen angehören. Mit ihren rituellen Tänzen ehren sie die Orisha, jene Götter, die auch die Sklaven anbeteten, die im 16. Jahrhundert aus Nigeria nach Kuba verschleppt worden waren.
Thairumy Rangel Chirino löst sich aus der Gruppe und lässt sich ein wenig erschöpft, aber sichtlich glücklich auf einem Plastikstuhl nieder. „In unseren Tänzen symbolisiert jede Person eine bestimmte Gottheit“, erzählt sie. „Mit meinem blauen Kleid stehe ich zum Beispiel für Yemayá, die Mutter allen Lebens und Göttin des Ozeans.“
Thairumy hat die Gesänge und Tänze schon als Dreijährige von ihrer Großmutter und ihrer Mutter gelernt, die beide der Santería-Kirche angehören. Diese Religion existiert nur auf Kuba. In ihr vermischen sich Inhalte des westafrikanischen Yoruba-Glaubens mit Elementen des Katholizismus.
Vom Klang der Musik angelockt, beobachten immer mehr Menschen das bunte Treiben auf dem Hof. Thairumy winkt sie herein. „Ich liebe es, meine Religion mit anderen zu teilen. Wenn ich tanze, fühle ich die Welt in meinen Adern pochen“, sagt sie und gibt sich sogleich wieder dem Rhythmus des Trommelspiels hin.
» Die Callejón de Hamel verläuft zwischen den Straßen Espada und Aramburu in Habana Vieja, dem Altstadtviertel. Sonntagnachmittags versammeln sich dort besonders viele Tänzer.
Text: Christa Larwood, Deutsche Bearbeitung: Elena Rudolph, Fotos: Philip Lee Harvey
Wie die Reise weitergeht, erfährst Du in der September-Ausgabe 2017 des Lonely Planet Traveller.