Im Jahr 2050 werden zwei Drittel der Menschen in (Groß-)Städten leben. Welche Probleme das mit sich bringt und wie Planer und Ingenieure die Metropolen unserer Welt aufrüsten werden, berichtet Olaf Heise.
Blick in die Zukunft: Es treiben künstliche Ökostädte auf den Ozeanen. Die sogenannten "Lilypads" sind die Heimat für 50.000 Menschen. Eine zentrale Lagune fängt Regenwasser auf, Gärten und Aquakulturen decken den Bedarf an Lebensmitteln. Abwasser reinigt die Stadt der Zukunft biologisch, der gesamte Müll wird recycelt. Diese Vision stammt von dem belgischen Architekten Vincent Callebaut (vincent.callebaut.org) - und wird vielleicht Realität.
Wie sehen die Städte der Welt in Zukunft aus? Wie werden wir in ihnen wohnen? Die Vereinten Nationen haben die urbane Entwicklung unlängst zu den dringendsten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts erklärt (unhabitat.org). Seit 2008 leben erstmals mehr Menschen in Städten als auf dem Land, bis zum Jahr 2050 werden es bereits zwei Drittel sein. Die Probleme von Megastädten mit mehr als 10 Millionen Einwohnern kann jeder Reisende heute schon sehen: Mexiko-City versinkt fast täglich im Verkehrschaos, Peking im trüben Smog. Im Moloch Dhaka leben 40 Prozent der 15 Millionen Einwohner in Slums, Tendenz steigend. Abwasser aus Fabriken und Gerbereien vergiften Flüsse, aus denen die Menschen ihr Trinkwasser schöpfen, Krankheiten breiten sich aus. Der Bauboom versiegelt die Böden und führt zu Überschwemmungen. Eine effektive Müllentsorgung fehlt ebenso wie eine Infrastruktur mit Krankenhäusern und Schulen. In Lagos oder São Paulo sieht es kaum anders aus.
Auch westliche Metropolen stehen vor gewaltigen Problemen. Eine Stadt wie London benötigt heute bereits das 125-Fache seiner Fläche, um die Bevölkerung mit Wasser und Nahrung zu versorgen, hat der britische Umweltberater Fred Pearce im Fachmagazin "New Scientist" vorgerechnet. Durch ihren enormen Bedarf an Wärme und Strom verursachen Städte mittlerweile 80 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen - obwohl sie gerade mal drei Prozent der Erde bedecken. Die damit verbundene Klimaerwärmung bedrohe auch die historischen Viertel vieler Städte, warnt Prof. Michael Krautzberger von der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung (dasl.de). Durch den "Hitzestress" könnten sich Investoren und Bewohner wegen der hohen Betriebskosten bald abwenden.
Längst tüfteln Stadtplaner, Architekten und Ingenieure an Strategien, um die rasant wachsenden Metropolen für die Zukunft zu rüsten. Sie arbeiten auch an Neuland: Nahe Seoul entsteht derzeit für 70.000 Einwohner die Planstadt "Songdo New City" (songdo.com). Neben stromsparenden LED-Ampeln und Ladestationen für Elektroautos ist man besonders stolz auf die pneumatische Abfallentsorgung: Miefende Müllwagen wird man hier nie sehen, der Unrat wird unterirdisch durch eine Art Rohrpostsystem gejagt und direkt einem Biokraftwerk zugeführt. Eine ähnliche Ökostadt entwarf der britische Stararchitekt Norman Foster für Abu Dhabi: "Masdar City" (masdarcity.ae) soll einmal keinerlei CO2-Emissionen produzieren. Möglich wird das durch energiesparende Solar- und Isoliertechnik. Windtürme saugen die Luft über der Stadt ein und sorgen am Boden für ein kühles Klima.
Zukunftsweisend sind nicht nur prestigeträchtige Megaprojekte. Auf der Hamburger Bauausstellung wurde jüngst das weltweit erste Gebäude mit "lebender Biofassade" vorgestellt: Mit Algen und Wasser gefüllte Glaselemente erzeugen durch Sonnenlicht Energie fürs Heizen. Die Algen werden geerntet, um daraus Biogas zu gewinnen (biq-wilhelmsburg.de). Doch nicht nur nachhaltiger, sondern auch lebenswerter sollen die Metropolen werden. "Wenn wir aus Städten Orte machen, in denen sich unsere Kinder nicht bewegen können, wird es ihnen als Erwachsenen an Menschlichkeit fehlen", heißt es in der Doku "The Human Scale". In Melbourne und Kopenhagen hat man die Innenstädte bereits mit großzügigen Fußgängerzonen wiederbelebt. Selbst ein Häusermeer wie Singapur will seine Dächer bis 2030 mit 50 Hektar Grün bepflanzen, als Bioklimaanlage.
Manchmal entwickeln sich Städte aber auch völlig ungeplant. In Detroit, der einst glanzvollen US-Autometropole, sieht es heute vielerorts aus wie in einem düsteren Endzeit-Thriller. Als es mit der City bergab ging, riss zugleich die Nahrungskette der Stadt. Supermärkte schlossen, die arbeitslose Bevölkerung hatte kaum noch Zugang zu gesundem Essen. Weil sich niemand um die Menschen kümmerte, begannen sie Obst und Gemüse auf den brachliegenden Flächen selbst anzubauen. Heute gilt Detroit als Musterstadt des Trends "Urban Gardening". Das bezeichnet die meist kleinräumige und gemeinschaftliche Nutzung von grünen Ecken im Großstadtdschungel (detroitagriculture.net).
Und das ist zugleich die gute Nachricht: In den Metropolen liegt auch Hoffnung. An diesen Orten trifft vieles geballt aufeinander, eben auch Menschen, die mit guten Ideen das urbane Leben in der Zukunft sichern.
Text: Olaf Heise, Titelbild: Foster+Partners
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