Aktuell zur ITB BerlinWo urlauben wir 2015, Herr Reinhardt?

Vom 4. bis 8. März trifft sich die Reiseszene dieser Welt wieder in Berlin zur Internationalen Tourismus-Börse. Zeitgleich erscheint die alljährliche Tourismusanalyse der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen. Ein Gespräch mit dem Wissenschaftlichen Leiter Prof. Dr. Ulrich Reinhardt über Urlaubstrends und Traumziele

LPT: Was sind die wichtigsten Reisetrends?
Deutschland boomt weiterhin als Urlaubsziel, vor allem aus finanziellen, zeitlichen und demografischen Gründen. Immer mehr ältere Menschen haben die Zeit und oft auch das Geld, um mehrmals im Jahr zu verreisen. Gerade sie verbringen ihren Urlaub gerne hierzulande. Doch auch wer weniger zur Verfügung hat, erholt sich häufig im eigenen Land. Die Reisedauer der Deutschen stagniert bei rund zwölf Tagen im Jahr, das kommt inländischen Destinationen zugute. Darüber hinaus haben viele Regionen in Deutschland den Tourismus für sich entdeckt und ihr Angebot entsprechend ausgebaut, zum Beispiel die Rhön, die Eifel oder das Weserbergland. Das spiegelt sich irgendwann in den Buchungszahlen wider.

 

Welche Trends haben Sie überrascht?
Erstens werden Urlaubsgebiete am Wasser immer beliebter. Sie haben Ziele in den Bergen abgehängt. Zweitens ist Osteuropa zum Großteil noch nicht so stark durchgestartet wie von einigen Experten prognostiziert. Und drittens üben Themen- und Freizeitparks mittlerweile eine große Faszination aus. Sie entwickeln sich zu einer Alternative für die klassische Urlaubsreise. Nicht nur in Disneyland Paris, sondern auch im Europa-Park Rust oder im Phantasia- land verbringen viele Gäste einen Kurzurlaub.

Von welchen Orten träumen die Urlauber?
Das hängt sehr stark von der Zielgruppe ab. Pauschal kann man sagen: Je jünger der Befragte, desto weiter entfernt sind die Ziele. Jugendliche träumen von Nordamerika, Australien, Neuseeland oder der Südsee. 30- bis 50-Jährige wünschen sich eher europäische Destinationen wie Schottland, die Toskana oder die Provence. Ruheständler bevorzugen ganz klassisch die Nordsee, die Ostsee und Bayern. Singles und Paare wollen die Welt entdecken, Familien eher die Atmosphäre in Europa genießen. Wichtig bei allen Träumen ist für mich aber ohnehin, dass nicht jeder Reisewunsch erfüllt werden sollte, sonst geht die Faszination verloren, weil man alles schon gesehen hat.


Was muss ein Land haben, um zu einem Trendziel zu werden?

Jedes Land wird Gäste gewinnen, das die Verbindung aus Erholung, Kultur und Erlebnis, aus Atmosphäre und Gastfreundschaft anbieten kann. Gegenwärtig gelingt das zum Beispiel Thailand oder Indonesien recht gut. Aber auch andere Fernreiseziele sind gefragt, deren Kultur und Natur faszinieren. China hat gute Chancen, wenn sich das Land stärker dem Tourismus öffnet. Auch ein Ziel, an dem Urlauber etwas Neues finden, wird wachsen. Es ist schon beeindruckend zu sehen, was Dubai und Katar in den vergangenen Jahren auf die Beine gestellt haben.


Offizielles Partnerland der diesjährigen ITB Berlin ist die Mongolei. Welche Zukunft hat sie als Reiseland?
Die Mongolei ist mehr als viermal so groß wie Deutschland, hat aber weniger Einwohner als Berlin. Insofern wird sich der Tourismus auf wenige Regionen konzentrieren. Was für das Land spricht, ist seine Ursprünglichkeit. Doch leider ist bisher recht wenig über die Mongolei bekannt, man hat gerade mal etwas von der Wüste Gobi, Steppen und der Stadt Ulan-Bator gehört. Zudem darf man nicht vergessen, dass die Mongolei ein armes Land ist. Für viele Menschen ist es nicht weit genug entwickelt, um dort den Urlaub zu verbringen.

Wie sieht es mit europäischen Ländern aus?
Spanien und Frankreich, Italien oder die Türkei werden beliebt bleiben. Als ergänzende Trendziele verfügen all jene Länder über Potenzial, die authentisch, sicher und bezahlbar sind, zum Beispiel Estland, Lettland und Litauen. Aber auch Griechenland wird sich künftig wieder auf mehr Touristen einstellen können.


Welche Urlaubsform legt künftig zu?
Ohne Frage der Kreuzfahrttourismus! Er kann weiterhin jährlich im zweistelligen Prozentbereich wachsen, wenn die Reedereien neue Zielgruppen neben den Senioren für sich gewinnen. Bereits jetzt schon haben sich einzelne Anbieter sehr erfolgreich auf Familien, Golfer, Singles, Kulturliebhaber oder homosexuelle Paare eingestellt. Aber auch der Städtetourismus wird weiter wachsen. Hier gibt es eine interessante Entwicklung: Neben den großen Metropolen entdecken Touristen zunehmend kleinere Städte wie Bremerhaven oder Schwäbisch Hall für sich, die mit Authentizität, Atmosphäre und Gastfreundschaft punkten können.


Auch das allgemeine Reiseverhalten haben Sie untersucht. Wie wichtig ist den Menschen hierzulande der Urlaub?

Er bleibt die populärste Form des Glücks. Eher schränken sich die Deutschen im Alltag ein und verzichten auf Neuanschaffungen, als dass sie die besten Wochen des Jahres daheim verbringen. Auch wenn viele angesichts von Krisen und Anschlägen verunsichert sind, stellen sie die Faszination des Urlaubs nicht infrage.

Was suchen die Deutschen, wenn sie reisen?
Die Kernmotive waren, sind und bleiben die Erholung sowie der Kontrast zum Alltag. Man möchte eintauchen in eine Art Traumwelt und etwas Neues erleben. Aber  natürlich spielen auch die Lust auf Kultur und Kulinarik, auf Exotik, Sport und Sonne eine große Rolle.


Was ist dabei wichtiger: sich zu entspannen oder etwas zu erleben?
Beides ist von zentraler Bedeutung für einen gelungenen Urlaub und sollte im Gleichgewicht stehen. Faulenzen, ausschlafen und fünfe gerade sein lassen, vom Alltag abschalten und mal etwas verpassen: Das alles ist wichtig für die körperliche und seelische Regeneration. Aber natürlich soll der Urlaub auch Spaß machen und neue Erfahrungen bringen.


Wie werden die Deutschen in Zukunft Urlaub machen?

Wahrscheinlich kürzer und dafür öfter, zumindest wenn sie es sich leisten können. Allerdings verreisen mehr als 40 Prozent der Bundesbürger gar nicht. Aber die Grundmotive des Reisens werden auch in 20 Jahren noch gleich sein.

Über die Online-Plattform Airbnb können private Vermieter ihr Zuhause an Menschen vermieten, die eine Unterkunft fernab des Pauschaltourismus suchen. Inwieweit verändert die Share Economy den Reisemarkt?
Sie revolutioniert ihn nicht, sondern optimiert ihn für bestimmte Zielgruppen. Airbnb spricht vor allem junge Menschen und Singles an, weniger Familien und Senioren, die im Urlaub keine Kompromisse eingehen wollen. Zudem konzentriert sich Airbnb vorwiegend auf den Städte­tourismus. Trotzdem glaube ich, dass dieser Markt Wachstumschancen hat und die Nachfrage noch steigt. Spannend wird es vor allem, wenn die Reiseveranstalter dieses Segment für sich entdecken und professionalisieren.


Stirbt das klassische Hotel langsam aus?

Nein, die meisten Reisenden wollen auch weiterhin diese sichere und komfortable, planbare und standardisierte Art der Unterkunft nutzen. Aber Hotels werden sich weiterentwickeln müssen, nicht unbedingt beim Standard, sondern vor allem in den Bereichen Atmosphäre, Gastfreundschaft und Service. Der Gast will schließlich genau wissen wofür er sein Geld ausgibt.


Welche Rolle wird in Zukunft nachhaltiges Reisen spielen?
Leider auf absehbare Zeit eine untergeordnete. Zwar finden die Bürger das Thema wichtig. Aber nur wenige sind bereit, Kompromisse bei der Wahl des Reiseziels einzugehen oder dafür freiwillig mehr Geld zu bezahlen, zum Beispiel für eine Umweltabgabe bei einem Flugticket. Deshalb kann man das Problem nur über den Preis regeln, etwa durch einen Nachlass, wenn der Gast Wasser spart oder nicht jeden Tag die Handtücher austauschen lässt.

Interview: Gunnar Herbst

Das Interview ist in der März-Ausgabe des Lonely Planet Traveller erschienen. Dort finden Sie unter anderem eine Reportage über Wandern in Mallorca, malerische Orte in der Provence und 10 ultimative Abenteuer in Südamerika.

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So reisen die Deutschen

Von Betten, Palmen und dem perfekten Urlaubsglück

1 Fast die Hälfte der Befragten fährt mit dem Auto in den Urlaub, das Flugzeug nimmt nur etwa jeder Vierte.

2 Für 40 Prozent der Deutschen hängt das Urlaubsglück entscheidend davon ab, dass sie keinen Massentourismus vorfinden, sondern möglichst viel Ursprünglichkeit.

3 Jeder zweite Befragte unter 34 Jahren träumt davon, auf einer einsamen Südseeinsel unter Palmen die Seele baumeln zu lassen.

4 Was die Bundesbürger unterwegs am meisten vermissen: das eigene Bett.

5 Lediglich jeder Vierte vertraut den Informationen von Reiseveranstaltern im Internet.

Ulrich Reinhardt, 44, hat eine Professur für Empirische Zukunftsforschung an der Fachhochschule Westküste in Heide. Im Fokus der Tourismusanalyse der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen stehen Reise­verhalten und -absichten der Deutschen. Befragt werden 4000 Personen ab 14 Jahren.

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