Wer in das zwischen China und Indien versteckte Bhutan reist, erlebt ein abgeschiedenes Land voller Schönheiten, Traditionen – und glücklicher Untertanen, die der Globalisierung trotzen.
Der dumpfe Klang mächtiger Trommeln mischt sich mit den letzten Wortfetzen hastig gesprochener Mantras. Durch die geöffneten Fenster des Paro Dzong fällt das erste Sonnenlicht auf fast 200 betende Mönche. Pilger füllen Butter in Opferlampen, Weihrauch steigt in Rauchschwaden gen Himmel. Bunte Gebetsfahnen an knorrigen Kiefern lassen Wünsche und Hoffnungen folgen. 1646 wurde das mächtige Kloster gegründet, aber der Beginn des Tages im Paro-Tal hat sich bis heute kaum verändert. Noch immer gelten die gleichen Rituale.
Bhutan setzt auf Tradition – nicht nur in seinen Klöstern. Erst 1974 kamen die ersten Touristen. Und selbst Jahrzehnte später war die Zahl der Fremden auf knapp 5000 pro Jahr begrenzt. 1999 flimmerten erstmals Fernsehbilder über die nun per königlichem Dekret erlaubten Kleinbildschirme. Wenige Wochen später öffnete das erste Internet-Café. 2008 folgte die Demokratie, die die Bhutaner gar nicht gefordert hatten, ihr König aber verordnete.
Nur bei der Einführung einer Verkehrsampel in Thimphu bleiben die rund 700.000 Bhutaner skeptisch: Vor rund zehn Jahren sollte eine Ampel auf der Hauptstraße Norzin Lam aufgestellt werden. Die Bevölkerung weigerte sich – zu viel Fortschritt, zu viel Technik. Also regelt noch immer ein Polizist per Hand den anschwellenden Strom der Autos und der Himalaja-Staat ist das wohl weltweit einzige Land ohne Verkehrslichter.
Veränderungen haben es hier traditionell schwer. Verantwortlich dafür ist sicher auch die abgeschiedene geografische Lage: Bis in die 60er-Jahre war Bhutan nur in einem fünftägigen Fußmarsch von Indien aus zu erreichen. Zerrissen durch drei Haupttäler, eng und tief eingeschnitten in die karge Natur und eingekeilt zwischen den Großmächten Indien und China, findet das Land seit Jahrhunderten seinen eigenen Weg des Überlebens. Mit Erfolg. Bhutan ist politisch und wirtschaftlich weitgehend unabhängig.
Längst ist die Reise dorthin schneller möglich, wenn auch nach wie vor unvorhersehbar. Die staatliche „Druk Air“ verbindet das Königreich mit der Außenwelt – insofern es das Wetter zulässt. Hängen die Wolken über den Bergen von Paro zu tief, müssen schon mal Gepäck oder Passagiere zurückbleiben, um den Aufstieg über den Himalaja zu schaffen. Vollgetankt hebt sowieso keine Maschine ab, zu schwer wäre das Fluggerät. Stattdessen gibt es auf dem Weg nach New Delhi regelmäßig einen Tankstopp. Die Passagiere nehmen es gelassen; kein Wunder, gilt doch diese Strecke als schönster Flug der Welt – Himalaja satt.
Natürlich ist es nicht mehr als ein (gern gepflegter) Mythos, dass sich Bhutan gegen den globalen Fortschritt wie ein letztes Bollwerk stemmt. Druk Yul, das „Land des Donnerdrachens“, verändert sich. Im Vergleich zum Wandel im Rest der Welt wirkt es aber immer noch wie aus der Zeit gefallen. Auch touristisch: Nur gut 30.000 ausländische Gäste (ohne Nachbarländer) passieren jährlich die beiden Grenzübergänge am einzigen Flughafen des Landes in Paro oder über den Landweg im südlichen Phuentsholing. Noch immer ist eine Bhutan-Reise vor allem eine Frage des Geldes: Sie ist nur über eines der staatlichen oder lizensierten, internationalen Reisebüros zu buchen. Pro Tag wird ein Minimumbetrag von ca. 150 Euro beziehungsweise 190 Euro (Hochsaison) fällig. Zudem kontrolliert die Tourismusbehörde die Preise für Pauschalangebote, um Dumpingpreise, so die offizielle Version, zu verhindern (Details unter bhutan.gov.bt). Wohl auch deshalb hält sich der Ansturm der Backpacker und Trekker in Grenzen. So gehört der Snowman-Trek, der über zwölf Pässe zwischen 4500 und 5100 Metern führt, zwar zu den schönsten Wanderungen im Himalaja, doch das Abenteuer dauert gut drei Wochen und ist ein entsprechend exklusives Vergnügen.
Wie der reglementierte Tourismus, so sind auch die in homöopathischer Dosierung umgesetzten Veränderungen der umsichtigen Königsdynastie der Wangchucks zu verdanken, die das Land seit 1907 mit viel Verantwortung führt. Innerhalb der letzten vier Jahrzehnte hat sich Bhutan vom asiatischen Armenhaus zu einem Vorzeigemodell entwickelt. Nicht zuletzt aufgrund einer genialen Idee des Königs im Jahr 1979. Damals stellte Jigme Singye Wangchuck in einem Interview erstmals seine Philosophie des „Bruttonationalglücks“ vor. Fortan war nicht mehr unbegrenztes Wirtschaftswachstum in der Verfassung verankert, sondern Zufriedenheit und Nutzen für die Bevölkerung. Nachhaltige Entwicklung, Umweltschutz und Bewahrung der Kultur sollen nun alle staatlichen Entscheidungen bestimmen. Nur Bolivien und Ecuador vertreten in Ansätzen ähnliche Vorgaben. Vor allem beim Umweltschutz gilt Bhutan heute als Musterbeispiel. 75 Prozent des Landes sind von Wald bedeckt und ein Viertel davon steht unter Naturschutz. Strom aus Wasserkraft und Tourismus sind die wichtigsten Einnahmequellen.
Derart königlich beglückt huldigt das Volk seinem Oberhaupt bei jeder Gelegenheit. Ihren bisherigen Höhepunkt erreichte die royale Euphorie im Herbst 2011: König Jigme Khesar Namgyel Wangchuck (der 5. Druk) heiratete Jetsun Pema, eine bürgerliche Pilotentochter. Bhutan war begeistert. Und als sich das frisch vermählte Paar nach der Trauung nicht auf eine mondäne Hochzeitsreise Richtung Karibik begab, sondern selbst entfernten Gegenden der Heimat seine Aufwartung machte, war ein „Königspaar der Herzen“ geboren. Die junge Königin pflegt ihre Nähe zum Volk auch weiter, und zwar im Stil einer 23-Jährigen: per Facebook. Mehr als 54.000 Freunde folgen Jetsun Pema auf ihrer Seite. Kein Glamour, kein Prunk, keine Jetset-Reisen finden sich unter ihrer Foto-Rubrik, stattdessen Impressionen von Trips durch die oft karge Landschaft, Begegnungen mit der einheimischen Bevölkerung, Gespräche mit Bauern und Marktbesuche zwischen Karotten und Kartoffeln. Mittendrin ein Kuss mit dem Gatten. Neid, Gerüchte, Regenbogenpresse? Nein, nur stolze Untertanen.
Doch Besucher, die nach Thimphu kommen, mit all den Bildern eines vermeintlich altertümlichen Bhutans im Kopf, werden zunächst mit einer anderen Realität konfrontiert. Die Hauptstadt mit ihren rund 100.000 Einwohnern bietet wenig Platz für Romantik. Hochhäuser, eine mehrspurige „Autobahn“, knapp 20 Kilometer lang Richtung Flughafen in Paro, hohe Jugendarbeitslosigkeit (50 Prozent der Bhutaner sind unter 21 Jahre alt). Gerade die Jungen zieht es immer stärker in die Großstadt. Vor einem guten Jahrzehnt gab es eine einzige Diskothek. Das „X“ hatte überschaubare Öffnungszeiten: vier Stunden am Samstagabend. Jetzt treffen sich viele Jugendliche, gestylt mit westlichen Haarschnitten und löchrigen Jeans, fast täglich zu modernen Beats – und reichlich Alkohol, das größte soziale Problem des Landes. Geraucht wird allerdings kaum. Der König hat’s verboten, er will ganz Bhutan zur „non smoking area“ deklarieren.
Noch aber haben Traditionen selbst auf Thimphus wichtigster Einkaufsstraße, Norzin Lam, eine Chance. Männer tragen den Gho, Frauen die Kira. Ohne die traditionelle Nationaltracht ist der Alltag undenkbar, wird kein Geschäft gemacht, kein Büro betreten. Thangka-Maler bieten ihre religiösen Rollbilder an, Souvenirläden wechseln mit lokalen Supermärkten, deren Warenangebot für den täglichen Gebrauch vor allem der Landbevölkerung zusagt. Die Hauptstädter selbst lassen sich immer häufiger von Restaurants, Bars, Elektronikläden und Internet-Cafés in ihren Bann ziehen. Moderne und Tradition auf engstem Raum – in Bhutan kein Widerspruch.
Die zweite Hälfte der Reportage finden Sie im Lonely Planet Traveller Magazin, Ausgabe Juli/August 2013.
Text: Peter Hinze & Peter Grunert
Das Wichtigste
Hinkommen
Von Europa aus gibt es keine Direktflüge nach Bhutan. Die nationale Fluggesellschaft Drukair fliegt ab Bangkok, Delhi und Kalkutta nach Paro (drukair.com.bt, ab Bangkok) Die Einreise ist nur mit Visum (ca. 15 €) möglich, das man mindestens zehn Tage vorher über ein lokales Reiseunternehmen besorgen muss (Infos dazu sowie zur Fortbewegung im Land weiter unten).
Buchtipps
Linda Leaming liefert einen bezaubernden Bericht über Land und Leute: „Das glücklichste Land der Welt. Mein Leben in Bhutan“ (Malik, 14,99 €). Viel Nützliches findet man in dem Lonely-Planet-Reiseführer „Bhutan“ (MairDumont, 19,95 €) sowie auf der Webseite tourism.gov.bt.
Gut zu wissen
Wann ist die beste Reisezeit?
Im Frühjahr und im Herbst. Im März und April blühen die Rhododendren. Im Oktober ist die Sicht zum Himalaya am klarsten. Beliebte Tsechus (Tanz-Festivals) kann man in Punakhas im Februar und März, in Paro im März und April miterleben.
Ist Bhutan etwas für preisbewusste Individualisten?
Gruppen und Individualurlauber können ihre Reise selbst organisieren, aber ein Ziel für Rucksacktouristen ist Bhutan nicht. Die Regierung erlaubt Ausländern die Einreise nur, wenn sie ihre Tour bereits im Voraus geplant und bezahlt haben. Die zu entrichtende Tagespauschale enthält den Guide, die Unterkunft, das Essen und die Transfers. Für 2013 beträgt der Tagessatz für Gruppen ab drei Personen ca. 154 € pro Person in der Nebensaison (Jan., Feb., Juni bis Aug.) und für den Rest des Jahres 193 €. Paare bezahlen 23 € pro Tag/Person mehr, Alleinreisende 30 €.
Wo kann man die Reisen buchen?
Der auf das Himalayagebiet spezialisierte Veranstalter „berg horizonte“ erstellt individuelle Angebote (berghorizonte.de, 19 Tage ab ca. 3550 €). Auch Hotels wie das „Uma Paro“ (comohotels.com) organisieren Trips quer durchs Land. Interessante Einblicke liefert der englischsprachige Blog des Guides Karma Dhendup, der für „Bhutan Folklands Tours“ arbeitet (bhutanfolklandstours.blogspot.com).