Irlands raue Atlantikküste ist mit einer der schönsten Autorouten der Insel gesegnet: dem Wild Atlantic Way. Der Dubliner Schriftsteller Fergal Keane hat sich in einen heißen Flitzer gesetzt (man schaue oben auf die Straße) und ist die Tour von Cork bis ins 515 Kilometer entfernte Kerry im Norden gefahren. Genau das Richtige für wilde Kerle wie ihn.
Küchenchef Martin Shanahan ist schon früh auf den Beinen. Die Fischer sind gerade mit ihren Kuttern in den kleinen Hafen von Kinsale eingelaufen und laden den Fang der Nacht ab, da wuselt der Gastronom schon zwischen den Kisten mit allerlei Meeresgetier herum – kneifende Hummer, zappelnde Wolfsbarsche, bergeweise Muscheln … „Die Ware ist jeden Tag taufrisch hier und ich weiß genau, wo sie herkommt“, frohlockt der Chef des Hafenrestaurants „Fishy Fishy“. „Das macht unsere gute Küche aus.“
Das reizende Städtchen mit seinen bunten Häusern liegt in einer Bucht an der irischen Südküste und ist ein ausgezeichneter Startpunkt, um gleich mal mit einem hartnäckigen Vorurteil aufzuräumen: dass man besser nicht wegen der guten Küche nach Irland reist. Ja, die robusten Insulaner pflegten lange die Tradition, so ziemlich jedes Gericht bis zur Geschmacklosigkeit zu zerkochen. Doch die Zeiten haben sich geändert, und Kinsale hat seinen Anteil daran. Die Stadt gilt mit ihren großartigen Bars und Restaurants quasi als Wiege der irischen Food-Revolution und ist heute ein echter Gourmet-Hotspot. Zur Schlemmerprobe geht es am besten schnurstracks auf den Farmers Market am Short Quay. An den Food-Ständen kann man fangfrischen Hummer, würzige Würstchen und die traditionellen „laughing spuds“ (mehlige Kartoffeln) schnabulieren. Und für später deckt man sich mit köstlichem handgemachtem Käse und Kuchen ein.
Am Abend weist die Nase den Weg durch die engen Gassen: Herrliche Knoblaucharomen wabern einem vor dem „Jim Edwards Restaurant“ entgegen. Drinnen sitzen die Gäste bei einem Gläschen gut gekühltem Sauvignon vor Riesenportionen gedünsteten Muscheln. Oder sie spülen den salzigen Tanggeschmack zarter Austern mit einem pechschwarzen Black-Porter- Bier herunter. Martins Shanahans „Fishy Fishy“ wenig weiter zählt zu den berühmtesten Gourmet-Adressen des Landes. Hier werden Surf-and-Turf-Gerichte wie Jakobsmuscheln und Blutpudding auf Pastinakenpüree serviert, zarter Wolfsbarsch, aber auch ein zünftiges Sirloin-Steak für Fisch-Abstinenzler. „Früher haben wir aus christlicher Tradition nur freitags Fisch gegessen“, sagt Martin. „Das hat sich ge ändert. Langsam begreifen die Leute, welche Kostbarkeiten das Meer bietet.“
Neuer Tag, neues Glück à la Irland: Richtung Westen windet sich die Küstenstraße durch eine mystische Bilderbuchlandschaft. Sattgrüne Hügel ziehen sich mal sanft bis zum Meer hinunter, mal enden sie an schroffen Klippen, gegen die die schäumenden Brecher des Atlantiks krachen. Im Ozean verblassen Inseln wie eine auslaufende Armada im Nebel. Sie sind das Ende der alten Welt, das letzte Stück Land, bevor sich der endlose Atlantik bis nach Amerika öffnet. Auf der Straßenkarte zeugen Namen wie Roaringwater Bay von der Rauheit der Landschaft.
Die spürt man am intensivsten in robustem Schuhwerk und mit einer steifen Brise im Gesicht – es ist Zeit für eine Wandertour auf dem Sheep’s Head Way. Der 88 Kilometer lange Trail führt um die gleichnamige Halbinsel, über Berge sowie an Steilklippen entlang, in malerische Buchten und Täler. Guide Ann Curran gerät auf der Route gehörig ins Schwärmen. „Du blickst hinaus auf den Ozean und fühlst dich, als wärest du der einzige Mensch auf der Welt“, sagt sie und deutet hinunter auf die Dunmanus Bay. Ein paar Wattewolken hängen über dem tiefblauen Meer. Die Tour erfordert stramme Waden, belohnt aber mit herrlicher Einsamkeit. Man wandert über Wiesen mit blühendem Stechginster, kommt an Megalithen-Kreisen und verlassenen Kupferminen vorbei. Kleine, von Trockensteinmauern eingefasste Felder erinnern an die Maßnahmen gegen die große Hungersnot, die Mitte des 19. Jahrhunderts eine Million Menschenleben forderte.
Nahe dem Örtchen Durrus geht es bergab, das Wetter schlägt in milden Nieselregen um. Schafe und Kühe weiden zwischen gurgelnden Bächen im Gras. Man erreicht glücklich, aber erschöpft die ruhige Bucht von Friendly Cove.
Weiter geht’s am Folgetag auf vier Rädern: Über den spektakulären Healy Pass braust man von Cork in die Grafschaft Kerry. Wer gern Auto fährt, hat auf der kurvigen Strecke durch die felsig-karge Landschaft seine helle Freude. Also: Musik aufdrehen und die herrlichen Aussichten auf die Kenmare Bay und den Glanmore Lake genießen! Kerry gilt mit seinen wilden Felsküsten, den grünen Feldern und vernebelten Mooren als Inbegriff irischer Postkartenidylle. Erster Stopp ist hier das Städtchen Kenmare, in dem gerade mächtig der Bär steppt. „Ich würde da jetzt nicht reinfahren“, ruft ein freundlicher Polizist am Ortseingang und nickt Richtung Marktplatz. „Sie bleiben da ewig stecken.“
Die Iren sind ein feierfreudiges Volk, und Kenmare macht diesem Ruf im Sommer alle Ehre. Zur Kenmare Fair, einem hiesigen Volksfest, strömen Händler und Kunsthandwerker aus dem ganzen Land in die Stadt, auf den Straßen wimmelt es von Menschen, Schafen, Kühen, Pferden, und in den Pubs fließt das Bier zu irischer Livemusik hektoliterweise.
Text: Fergal Keane, Deutsche Bearbeitung: Olaf Heise, Fotos: Pete Seaward
Den vollständigen Artikel mit allen weiteren Stationen des Roadtrips auf der grünen Insel finden Sie in der September-Ausgabe des Lonely Planet Traveller.