ParisVive L'Evolution

© Pete Seaward
© Pete Seaward

Ja, der Eiffelturm steht immer noch. Und der „Louvre“ auch. Aber der Rest von Paris verändert sich ständig und rasant. Zeit für einen Besuch in unseren Lieblingsvierteln der schönsten Stadt der Welt.

Prunk & Herrlichkeit

1er/2ème

Kennen Sie die Pariser Schnecke? Nein, das ist ausnahmsweise keine Delikatesse, sondern das Meisterwerk von Georges- Eugène Haussmann. Vor 160 Jahren erhielt der Stadtplaner den Auftrag, Paris, das damals aus allen Nähten platzte, ein modernes Stadtbild zu verpassen. Eine sinnvolle Aufteilung musste her, sozusagen eine auf Zuwachs. Haussmann nahm den Bezirk um den „Louvre“, gab ihm die Nummer eins und ordnete alle anderen Arrondissements spiralförmig drumherum an. Wer Paris kennenlernen will, beginnt also am besten im Zentrum des Schneckenhauses.

Zum Beispiel in der Rue de Rivoli. Inmitten der Designer- und Antiqui­tätengeschäfte, die in den Arkaden der Prachtstraße residieren, findet sich lustigerweise eine kleine, anarchische Oase: 1999 hatte ein Künstlerkollektiv das leerstehende Haus Nr. 59 besetzt und dort Ateliers eingerichtet. Zwei Jahrzehnte kämpften die Maler, Installationskünstler und Bildhauer um ihre Bleibe, bis die Stadt das Projekt legalisierte. Heute kann man dort Kreativen bei der Arbeit zusehen, Vernissagen und Konzerte besuchen.

Zielstrebige führt es von hier direkt zu den alten Meistern im „Louvre“. Genießer, die sich tempomäßig lieber der Schnecke anpassen, legen einen Zwischenstopp in der „Galérie Vero-Dodat“ ein. Wer durch die Ladenpassage im Belle-Époque-­Stil zwischen Akazienholz, Marmorböden und Stuckdecken wandelt, wird auf wundersame Weise in die Jahrhundertwende zurückgebeamt. Nur am Ausgang der Rue J.-J. Rousseau kommen Frauen in der Regel schnell zurück in die Gegenwart: bei Christian Louboutin, dem für die roten Sohlen berühmten Schuhdesigner.

Der beste Ort, um seinen Kummer über die unerschwinglichen Schuhe herunterzuspülen, ist die gemütliche Weinbar „Les Fines Gueules“. Die Karte mit ein­fachen Gerichten wechselt täglich. Und für das Beef Tartare sollen manche schon Meilen gelaufen sein.

Leider ist hinterher der Bauch viel zu voll für den „Louvre“… Macht aber nichts, dafür brauchen Sie ohnehin einen ganzen Tag. Stattdessen schleichen Sie unauf­fällig dran vorbei und besuchen in den Tuilerien das kleine „Musée de l’Orangerie“. Die wechselnden Ausstellungen sind absolut sehenswert (etwa 9. Oktober bis 13. Januar: Frida Kahlo).

Der nächste Kulturtempel liegt nur einen Steinwurf entfernt: „Colette“, die Mutter aller Concept Stores, Pilgerstätte internationaler Trendsetter. Früher hätte man „Colette“ einen Gemischtwarenladen genannt: ein Mix aus Mode-, Möbel-, Bücher-, Plattenladen und Galerie. Da das Ganze jedoch strengen Design-Kriterien obliegt, nennt man es heute „kuratierten Konsum“. Wer wissen möchte, was gerade angesagt ist, findet hier die Antwort.

Jetzt wäre etwas Süßes gut? Das gibt es zwei Straßen weiter in der Rue Cambon. Die Modewelt verbindet mit dieser Adresse seit 95 Jahren nur einen Namen: Chanel (in der Nummer 31 sind Hauptatelier und Flagship Store). Dabei wird ein paar Häuser weiter zweimal jährlich eine ähnlich aufregende Kollektion präsentiert: die Macaron-Kreationen von „Pierre Hermé“. Das Geschäft gleicht einer Schmuckschatulle, in der Auslage türmen sich Macarons in allen Pastellfarben. Die „Vogue“ nannte Hermé einst den „Picasso der Pâtisserie“. Und seien Sie sicher: Die berühmten Plätzchen schmecken sogar noch besser als sie aussehen.

Zum Abschluss eines perfekten Tages gibt es fürs Dinner nur eine Adresse: das „Spring“ – vorausgesetzt, Sie haben reserviert. Das kleine Spitzenrestaurant ist eine Pariser Revolution: Es hat einen amerikanischen Koch, Daniel Rose, und der brachte Rock ’n’ Roll in die steife Haute Cuisine und kombinierte exzel­lente Küche mit lockerer Atmosphäre. Hinterher noch ein „Experience 1“ (Wodka mit Zitronensaft, Basilikum, Lemongrass und Kräuterlikör) im „Experimental Cocktail Club“ und Sie werden ins Hotel zurück fliegen. Keine Sorge: Die Herren an der Bar sind behilflich bei irdischen Taxibestellungen.

Lässig & Kreativ

5ème/6ème/7ème

Lange Zeit galt die linke Seite der Seine (rive gauche) als das intellektuelle Areal von Paris. Die Bouquinistes, die Bücherverkäufer am Seine-Ufer, und die in der Nähe liegende Universität Sorbonne nährten das Bild von Sartre lesenden Linksintellektuellen. Heute findet man in Saint-Germain-des-Prés zwar mehr Hochglanzboutiquen als Buchhandlungen, Spaß macht ein Bummel dennoch (vor allem im Dezember, wenn hier das Dorf des Weihnachts­mannes aufgebaut ist).

Wer Lust auf einen längeren Spaziergang hat, bummelt die Hauptschlagader, den Boulevard Saint-Germain hinunter, vorbei an Karl Lagerfelds erstem Concept Store, bis zur Point de Sully. Hier hat man einen unschlagbaren Blick auf die Île de la Cité. Noch besser ist die Aussicht nur von der Terrasse im 9. Stock des eigen­willigen Baus gegenüber: dem „Institut du monde arabe“.

Ihm zu Füßen liegt am Quai Saint Bernard ein Gratis-Freilichtmuseum: das „Musée de la Sculpture en Plein Air“. Hier kann man Werke namhafter Künstler aus nächster Nähe bestaunen (im Sommer ist der Quai auch Tango-Trainings­gelände). Von dort gehen Sie am Jardin des Plantes vorbei in Richtung Place Monges. Mittwoch, Donnerstag und Sonntag findet hier ein Markt für die „echten“ Pariser statt – ein kleiner Vorgeschmack auf die berühmte Fressschlacht in der Rue Mouffetard. Dort grenzt ein märchen­hafter Marktstand an den anderen, dazwischen finden sich viele individuelle kleine Bistros und Geschäfte. Am schönsten ist die „Mouff“ sonntags gegen 11 Uhr, wenn die Messe in Saint Métard zu Ende ist. Dann gehört sie den Bewohnern des Viertels. Wer es exquisiter mag, bucht sich bei Christine Arlaux-Maréchal zur Champagnerprobe ein. Ihre Familie produziert in sechster Generation die edlen Tropfen, zu denen delikate Canapés gereicht werden – ein Fest!

Um wieder nüchtern zu werden, bietet sich ein Bummel durchs Quartier Latin an. Hier sind die Straßen schmaler, die Häuser schiefer, die Typen schräger als im Rest der Stadt. Bei schlechtem Wetter gibt es nichts Schöneres als in „La Filmothèque“ Raritäten wie „Irma La Douce“ anzusehen. Bei Sonnenschein geht’s in den Lieblingspark der Pariser: Jardin du Luxembourg. Die Alten spielen Boule, die Geschäftsleute verdrücken ihr Mittags-Baguette, die Nannies schieben teure Kinderwagen und Studenten büffeln in Liegestühlen. Westlich des Parks liegt eine Pariser Institution von Gustave Eiffel. Kein Turm, sondern das Kaufhaus „Le Bon Marché“. Selbst wer nichts kaufen will, kann hier Stunden verbringen. Die Pariser lieben ihren Einkaufstempel (Lafayette? Für Touristen!). Allein „La Grande Epicerie“ ist eine Sehenswürdigkeit, aber auch die älteren Damen, die sich durch die Duftabteilung schnuppern, sind besser als manches Theaterstück.

Noch mehr zu gucken gibt es im Lieblingsrestaurant des französischen Star-DJs David Guetta: Im „La Societé“ geht es weniger ums Essen, obwohl es ausgezeichnet ist, sondern ums Sehen und Gesehen­werden. Geboten wird einiges: eine hohe Promidichte, Kellnerinnen, die nebenbei modeln (oder umgekehrt), wechselnde DJs und wippende Füße unter den Tischen. Wer es weniger aufgeregt mag, ist im „Café Constant“ richtig. Der Chef ist Brasilianer, der Koch Franzose. Was bei so einer Kombination herauskommt? Eine unschlagbare Mischung aus lässiger Atmosphäre und edlen Haute-Cuisine-­Zutaten. Nicht verpassen!

Hip & Bohème

3ème/4ème/10ème/11ème

Marais bedeutet Sumpf. Lange lag dieser Morast vor den Toren von Paris, bis er im 13. Jahrhundert trockengelegt wurde. Heute gibt es wohl kaum einen angesagteren Stadtteil als dieses jüdische Zentrum der Metropole. Künstler, Hipster, Designer – sie alle lieben den bunten Sumpf mit seinen unzähligen Galerien (etwa der verrückten „L’Imprimerie“, in der auch mal Turnschuhe zu Kunstobjekten werden), szenigen Boutiquen und Cafés. Am besten, Sie starten am Place des Vosges, der angeblich architektonisch schönste der Stadt. In der Nr. 6 lebte übrigens Victor Hugo, er schrieb an diesem Ort „Les Misérables“. Von hier aus können Sie sich Richtung Westen durchs Marais arbeiten – und hemmungslos bummeln.

Das schlechte kulturelle Gewissen lässt sich unterwegs im „Musée Carnavalet“ beruhigen. Es ist einer der schönsten Orte der Stadt, informiert über die Geschichte von Paris und kostet nicht einmal Eintritt. Von hier aus heißt es sich treiben lassen, denn es gibt überall etwas zu entdecken! Merken sollten Sie sich allerdings folgende Namen: die Teehandlung „Mariage Frères“, die einen mit Myriaden alter Porzellandosen und herrlich duftenden Aromen verzaubert (unbedingt vor Ort einen Tee mit dem köstliche Gebäck dazu probieren!) und die „Passage de Retz“, eine alte Spielzeugfabrik, die zum Kulturhaus umfunktioniert wurde (Galerie, Museumsladen, Kunst-Happenings und Fifties-Café).

Und wenn Sie an einem alten, knall­roten, wild dekorierten Auto vorbei­laufen, müssen Sie unbedingt anhalten. Es steht am Eingang des Concept Stores „Merci“. Das Besondere: Alle Gewinne aus dem Verkauf der supercoolen Designerprodukte fließen in Hilfsprojekte. Das angeschlossene Bistro ist übrigens perfekt für einen leichten Lunch.

Alternativ werden Hungrige im „Marché des Enfants Rouges“ fündig, dem ältesten Lebensmittelmarkt von Paris. Hinter einem gusseisernen Eingangstor wartet gewissermaßen essbare Kunst: Austern, Sushi und andere exo­tische Köstlichkeiten – hier findet jeder einen Snack nach seinem Geschmack. Und dann wäre da noch das „MEP“, wie es die Pariser nennen, das „Maison Européenne de La Photographie“. Ein Besuch lohnt fast immer, die wechselnden Ausstellungen zeitgenössischer Fotokunst sind sensationell.

Falls Ihnen übrigens in einem Blumenladen Wodka angeboten wird, wundern Sie sich nicht: Dann sind Sie in der „Bar Fleur’s“ gelandet. Zwischen Rosen, Gardenien und Orchideen schlürft man hier Cocktails auf Blumenbasis mit Champagner oder Wodka. Letzterer ist übrigens erstklassig, denn einer der Besitzer stammt aus Russland (Achtung, es passen nur zwölf Gäste in die Blumenbar).

Nicht weniger verrückt ist leider eine ganz andere Sache im Marais: Wohnraum ist längst unbezahlbar geworden. Die Bohème-Szene weicht deshalb in die Nachbarbezirke aus: das 10ème und 11ème. Besonders sehenswert ist die Gegend um den Canal Saint Martin: Möchtegern-Models posieren am Ufer, unrasierte Philosophen grübeln am Wasser, Designer rauchen vor ihren Büros, Pärchen frühstücken in den Boulangerien. Und im „Hotel du Nord“, Restaurant und Salon im Stil der 20er-Jahre mit entsprechender Musik, trifft sich die Hipster-Gemeinde.

Im 11. Bezirk sammelt sich rund um die Bastille abends das Partyvolk. Hier findet man die höchste Clubdichte der Stadt – und das spektakuläre, minimalistische  Restaurant „Le Dauphin“, das Rem Kohlhaas entworfen hat. Dort serviert der baskische Starkoch Inaki Aizpitarte erstklassige französisch-spanische Crossover­Küche in beeindruckendem Ambiente. Ganz anders ist das Lokal von Majid Achour. Sein Vater Jaffar gründete 1946 das erste nordafrikanische Restaurant, das „Zerda Café“. Heute betreiben sie es zusammen – und servieren inmitten bunter marokkanischer Kacheln immer noch die beste algerische Küche der Stadt. Probieren Sie das marinierte Lamm! Sie werden es nie vergessen.

Diese und weitere Reportagen finden Sie im Lonely Planet Traveller Magazin, Ausgabe November/Dezember 2013. 

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Text: Alex von Tunzelmann

Das Wichtigste

Hinkommen

Möglichst nicht mit dem Auto anreisen, denn die meisten Hotels haben keine Parkplätze! Ab Frankfurt a. M. fliegen Lufthansa (lufthansa.com) und Air France (airfrance.de). Von Wien steuern Air France, Austrian (austrian.com) und Niki Air (flyniki.com) Paris an, ab Zürich fliegen Swiss (swiss.com) und Air France.

Infos

Die offizielle Fremdenverkehrsseite hat Tipps zu aktuellen Events, Ausstellungen und Konzerten etc.: parisinfo.com. Vor Ort ist das Programmheft „Pariscope“ (0,40 €) empfehlenswert.

Weiterlesen

Lonely Planet „Paris“ informiert umfassend (19,95 €). Auch gut: Dumont Kunst-Reiseführer „Paris“ (25,90 €).

Prunk & Herrlichkeit

Lässig & Kreativ

  • „Dorf des Weihnachtsmannes“, Boulevard Saint-Germain, 6.12.2013–12.1.2014
  • „Karl Lagerfeld Store“, 194 Boulevard Saint-Germain, karl.com
  • „Musée de la Sculpture en Plein Air“, Quai Saint Bernard zwischen Pont Sully und Pont Austerlitz
  • „Boutique Champagne Arlaux“, 29 Rue Censier, arlaux.fr
  • „La Filmothèque“, 9 Rue Champollion, lafilmotheque.fr
  • „Le Bon Marché“, Grand Magasin Parisien, 24 Rue de Sèvres
  • „Restaurant La Societé“, 4 Place Saint-Germain des Prés, restaurantlasociete.com
  • „Cafe Constant“, 139 Rue Saint-Dominique, maisonconstant.com
  • Hoteltipp: „l’Hotel“, 13 Rue des Beaux Arts, DZ ab ca. 285 €, l-hotel.com

Hip & Bohème

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