Es ist halb vier an einem Samstagnachmittag. Wir sind unterwegs nach Åhus, einer mittelalterlichen Stadt am Radwanderweg Sydostleden. Es sind nur 10 km mit dem Rad, bis wir dort ankommen. Ein Kinderspiel, mit dem E-Bike sowieso – es sei denn, der Akku wird leer.
„Kann ich helfen?“ Ich schiebe mein Rad auf eine Fischerhütte zu. Vielleicht kann ich bei dem Mann meinen Akku aufladen, während ich am Strand Rast mache. Das ist das Schöne am Sydostleden: Das Meer ist immer in Reichweite. Der Mann heißt Mats und ist Fischer. Sein Boot „Anna“ ist abfahrbereit und liegt schon hinter dem Traktor am Ufer. Einen Augenblick später kommt sein Bruder. Er trägt grüne Wattstiefel und eine Schwimmweste. Für einen Augenblick glaube ich, doppelt zu sehen – Max und Mats sind Zwillinge. Sie fischen seit sechzig Jahren zusammen, zwanzig davon auf hoher See.
Wie kann man sie unterscheiden? Gar nicht. Oder doch. Mats ist eine Minute älter, und das macht sich bemerkbar. Er übernimmt in allem die Führung. Mit einem schelmischen Blick sagt er zu mir: „Willst du mit uns fischen?“ „Ja, bitte! Was fischen wir denn heute?“ Beide sind überrascht: „Aale natürlich!“
Der Sydostleden folgt Schwedens berühmter Aalküste. Seit Jahrhunderten fischen Männer wie Mats und Max hier Aale. Die Aale schlüpfen in der Sargassosee, wandern dann in die Ostsee und enden in einer Reuse der Zwillinge, nachdem sie 6.000 Kilometer zurückgelegt haben.
Mats und Max gehören zu den zehn Aalfischern, die eine Erlaubnis haben, die schlüpfrige Delikatesse zu fangen. In ganz Europa ist der Aalbestand bedroht. Schweden unternimmt große Anstrengungen, den Aal zu schützen, und hat zu diesem Zweck noch strengere Regeln erlassen als andere europäische Länder. Deshalb ist die Anzahl der Genehmigungen für die Aalfischerei sehr begrenzt: An der Ostküste von Skåne zwischen Åhus und Stenshuvud, der so genannten Åla-Küste (Aalküste), darf nur drei Monate im Jahr gefischt werden. Dass überhaupt noch Aale gefischt werden, liegt daran, dass das Wissen von Fischern wie Mats und Max entscheidend dazu beiträgt, die Art vor dem Aussterben zu bewahren.
Inzwischen fühle ich mich gestresst. Das Boot ist viel zu klein für so viele Menschen. Ich hocke mich hin und spüre allerlei Fische, die sich zwischen meinen nackten Fußgelenken winden. Quallen, Barsche, Aale und Heringe. Plötzlich mache ich mir Sorgen um den Beifang: „Quallen brennen doch, oder?“ Max grinst: „Nur die weiblichen.“
Dar Fang ist an Bord. Wir kehren mit sechs glatten, männlichen Aalen, dem so genannten Ostsee-Gold, zurück. Ab in die Räucherkammer, denken wir, aber da liegen wir falsch. Max und Mats sind Fischer, keine Räucherer, aber vor allem sind sie faszinierende Geschichtenerzähler. Wie man weiß, muss Fisch schwimmen, vor allem Aal. Sie stellen Wodka auf den Tisch. Der Satz von August Strindberg fällt mir ein: „Vierzigtausend Nüchterne sind gefährlicher als vierzigtausend Trinker.“
Wir stoßen an. Mats beginnt und Max fällt ein: „Helan går, Sjung hopp faderallan lallan lej, Helan går.“ Das ist Schwedens bekanntestes Trinklied. Wir verstehen kein Wort, aber etwas in uns sagt: „Auf ex!“
An diesem Morgen starten wir mit unseren E-Bikes in Kivik, vermutlich dem altmodischsten kleinen Dorf in Skåne. Jedes einzelne Fachwerkhaus dort ist wunderschön bemalt. Die Stockrosen in den Vorgärten wiegen sich in Farben wie von Claude Monet. Der italienische Reisende Edmondo de Amicis schrieb über den Ort: „Ein Städtchen wie aus dem Schaufenster eines Nürnberger Spielzeugladens.“ Mit vollem Akku verlassen wir das Fischerdorf, fahren entlang weitläufiger Getreidefelder, vorbei an alten Bauernhöfen, cremeweißen Kirchen und zahllosen Apfelwiesen, auf denen über 70 verschiedene Apfelsorten wachsen.
Wir sind unterwegs zu unserer Mittagsrast, deshalb fahren wir einen weiten Bogen ins Landesinnere. Kaffestugan Alunbruket in Andrarum erweist sich als eins der ältesten Kaffeehäuser in Skåne. Genau wie Kivik sieht dieser Ort aus wie ein antikes Dorf aus einem nostalgischen Spielzeugladen. Das Café wurde in den 1930er Jahren eröffnet und wird jetzt von Johan Carlsson betrieben, dem Urenkel der ursprünglichen Besitzerin. Er erzählt uns von diesem ungewöhnlichen Dorf, insbesondere von den Hunderten von Arbeitern, die hier früher wohnten und in der Fabrik arbeiteten, wo Alaun, ein Beizmittel für die Ledergerbung, hergestellt wurde. Damals gab es im Dorf eigene Schulen, Häuser und sogar eine eigene Währung. So investierten die Leute ihr schwer verdientes Geld wieder in ihre Stadt. Der Kontrast zwischen damals und heute könnte nicht größer sein. Früher hing eine gelbe Schwefelwolke über der Stadt. Heute ist davon keine Spur mehr zu sehen. Stattdessen haben wir das Gefühl, in ein perfektes Hobbit-Dorf zu radeln.
„Ist es noch weit?“ Wir sitzen schon eine Weile im Sattel, als wir merken, dass sich der Akku in Mats’ und Max’ Fischerhütte doch nicht vollständig aufgeladen hat. Wir fahren weiter auf einem Schotterweg durch den Wald, wo ein Hügel auf den anderen folgt. Anscheinend ist Skåne gar nicht so flach, wie ich anfangs dachte. Es bleibt aber keine Zeit zum Meutern, wir müssen weiter.
Aus der Ferne sehen wir die so genannte Kirche von Åhus, hinter der sich in Wirklichkeit die Absolut-Wodkafabrik am Ufer des Helge å verbirgt. Wir überqueren eine Fahrradbrücke und erreichen unser Hotel mit schöner Aussicht auf die Häuser der Reichen und Berühmten. Jedes Haus hat einen eigenen Anleger – und natürlich auch ein Schiff dazu. Åhus ist die am besten erhaltene mittelalterliche Stadt Schwedens, die früher für ihre drei Laster berühmt war: Aale, Schnupftabak und Schnaps, die alle hier in dieser kleinen Stadt hergestellt und verkauft werden. Marketingexperten haben sich viel Mühe gegeben, um uns davon zu überzeugen, dass Åhus heute für drei ganz andere Dinge berühmt ist: Handball, Schwimmen und Eiscreme. Unser Ziel steht allerdings schon fest. Wir sind in der Stadt, in der seit 1906 Absolut Wodka hergestellt wird. Die Fabrik ist ein Aushängeschild, das alle Kategorien sprengt. Während ich daran vorbeifahre, höre ich mich summen: „Helan går …“
Am nächsten Tag radeln wir nach Kristianstad, nur 18 km von Åhus entfernt, also diesmal keine Akku-Probleme. Die Strecke ist weniger attraktiv als die gestrige, aber unser Ziel ist es wert: eine Renaissancestadt, die 1614 von Christian IV. von Dänemark gegründet wurde. Die ganze Stadt ist von Wasser umgeben und konnte sich lange gegen die Schweden verteidigen. Skåne war bis 1658 dänisch, und davon finden sich noch viele Spuren in der Region. Man hört es zum Beispiel an der Sprache, denn die Leute reden hier anders als in Stockholm. Kristianstad gehört zu Schweden, aber in der Stadt selbst merkt man, dass sie durch und durch dänisch ist.
Bis vor 30 Jahren hegte die Bevölkerung von Kristianstad jahrhundertelang eine Art Hassliebe zum Wasser. Es wurde ein Plan entwickelt, aus dem Sumpf ein Naturschutzgebiet zu machen. Diese 30 km mal 30 km große Fläche ist jetzt ein UNESCO-Biosphärenreservat.
Neben dem Bahnhof befindet sich ein Besucherzentrum, das ein wenig nach Guggenheim aussieht. Man kann hier eine Bootsfahrt unternehmen und Otter beim Schwimmen beobachten. Der Silberreiher ist in diesem einzigartigen Stück Natur heimisch geworden, und auch der Eisvogel ist ein treuer Besucher. Unter unseren Füßen schwimmen europäische Welse. Der größte, der angeblich je gefangen wurde, soll 3 Meter lang gewesen sein! Eins ist klar: Naturum Vattenriket ist ein Ort, an dem man mehrere Stunden zubringen kann. Leider müssen wir weiter. Wir machen uns wieder auf den Weg.
Der Sydostleden ist nach dem Kattegattleden der zweite internationale Radwanderweg durch Schweden. Die 270 km lange Strecke führt durch drei Provinzen: Småland, Blekinge und Skåne. Sie beginnt und endet (oder umgekehrt) in Simrishamn im Süden von Skåne und in Växjö in Småland. Der Süden von Schweden ist hügelig, aber auf der Strecke finden sich keine steilen Anstiege. Der „leden“, schwedisch für Weg, ist außerdem größtenteils befestigt. Der Sydostleden ist der ideale Einstieg für das ländliche Schweden. Er führt vorbei an Wäldern und Bauernhöfen, dabei ist das Meer nie weit entfernt. Im Sommer 2019 wurde ein dritter Radwanderweg durch Skåne eröffnet: der Sydkustleden (260 km) von Simrishamn nach Helsingborg. Der zweite große Radwanderweg ist schon länger in Betrieb: der Kattegattleden (370 km) von Helsingborg nach Göteborg. Wenn man diese drei Strecken kombiniert, ergibt das eine Radreise von fast 900 km. So kann man den Westen, Süden und Osten von Skåne besuchen, während sich Travelshop um den Gepäcktransport kümmert.
Text: Nicolline van der Spek
Dieser Beitrag wurde von Visit Skåne bereitgestellt. Lonely Planet war nicht an der Erstellung des Inhalts beteiligt und dieser spiegelt nicht zwangsläufig unsere redaktionelle Meinung wider.