Willkommen zu einer der schönsten Zugreisen der Welt auf Amerikas ältester Eisenbahnverbindung. Die legendäre Panoramalok rattert von New Orleans quer durch die USA bis nach Los Angeles. Ein unvergessliches Erlebnis mit zig Wow-Effekten samt zünftigen Western-Abenteuern.
Roadtrips gelten als eine Art Initiationsritual in den USA. Doch in Wahrheit war es die Eisenbahn, die die Nation erwachsen werden ließ. Quer über den Kontinent verschob sie die Grenzen immer weiter nach Westen. Und kein Zug spielte dabei eine bedeutendere Rolle als der legendäre „Sunset Limited“.
Im Jahr 1894 in Betrieb genommen, ist die transkontinentale Route heute die älteste durchgehend betriebene Eisenbahnverbindung der USA, das Schienen-Pendant zur berühmten Route 66: eine epische Ost-West-Reise, von deren Existenz jedoch selbst viele Amerikaner heute nichts mehr wissen.
Der „Sunset Limited“ war nicht der erste Coast-to-Coast-Zug, mit vier Tagen Reisezeit allerdings der schnellste, was zweifellos den Aufstieg der USA zur modernen Nation förderte. Am Zugfenster ziehen waldreiche Flusslandschaften vorbei, glitzernde Skylines und riesige Kakteen in der endlosen Wüste.
Unsere Reise beginnt in der Wiege des Jazz an den sumpfigen Ufern des Mississippi…
Ein heftiger Regenguss ist eben über dem French Quarter niedergegangen, aber die Lebensgeister scheint das miese Wetter nicht zu dämpfen. Schon wenig später bildet sich eine Menschentraube mitten auf der Straße, als „Dancing Man“ mit seiner Show beginnt. Ganz in Weiß gekleidet und mit schwarz-goldenem Umhang tanzt er zu launiger Banjo-Musik über den Asphalt und fordert die Umstehenden zum Mitmachen auf. Es dauert nicht lange und „Dancing Man’s“ Solo hat sich zu einer fröhlichen Straßenparty entwickelt.
„So läuft das in New Orleans“, erzählt er wenig später, als er auf der Royal Street an den typischen Clapboard-Häusern entlangspaziert. „Wir sagen: laissez les bons temps rouler – genieße das Leben. Und genau darum geht’s hier in Nola.“
Seit dem verheerenden Hurrikan Katrina ist „Dancing Man“ alias Darryl Young eine Art Legende in New Orleans. Geboren und aufgewachsen im armen und 2005 katastrophal verwüsteten Stadtteil Ninth Ward, startete der Koch kurzerhand eine neue Karriere als Tänzer, inspiriert von der alten New Orleanser Tradition der Second Line – der informellen Prozession, die sich bei traditionellen Beerdigungen den Trauernden und Musikern anschließt, wenn der Sarg von der Kirche zum Friedhof getragen wird.
„Die Second Line ist der Geist von New Orleans“, sagt Darryl. „Selbst traurige Momente machen wir durch Freude erträglicher. Wenn das Leben dir hart mitspielt, feiern wir eben noch härter, Baby“, grinst er und biegt in die Frenchmen Street ein, wo sich ein legendärer Jazz-Schuppen an den anderen reiht – „Spotted Cat“, „Snug Harbor“, das „Blue Nile“. Es ist noch früh am Abend, aber Jazz und Blues schallen schon aus allen Türen. An einer Straßenecke spielt eine Brass-Band „When The Saints Go Marching In“. Nun gibt’s für Darryl kein Halten mehr. Mit lockerem Hüftschwung steppt er zwischen die Zuschauer und im Nu ist die halbe Straße am Tanzen. Ein ermutigender Anblick: Katrina mag ganze Stadtteile ausgelöscht haben. Aber gegen die Lebensfreude der Bewohner kam selbst der Sturm nicht an.
Die Party geht bis in die Morgenstunden. Doch als Passagier des „Sunset Limited“ muss man früh aus den Federn. Um Punkt 9 Uhr setzt sich der Zug am Union Passenger Terminal von New Orleans in Bewegung. Langsam rattern die Waggons an der Superdome-Arena vorbei und queren den mächtigen Mississippi gen Westen. Die Straßen der Stadt verlieren sich in den endlosen Sümpfen von Louisiana. Knorrige Eichen und mit Moos behangene Weiden wuchern an den Ufern der Nebenflüsse, Fischreiher staksen in schlammigem Wasser. Und irgendwo im Dickicht lauern die Alligatoren.
Mit an Bord ist auch Travis Siewers, ein alter „Sunset Limited“-Veteran, der schon x-mal mit dem Zug gefahren ist. „Die Leute haben heute das Reisen verlernt“, sinniert er, während er aus dem Fenster des Panorama-Waggons blickt. „Sie steigen ins Flugzeug und fliegen in ein paar Stunden quer über den Globus – ohne darüber nachzudenken, wie verrückt das eigentlich ist. Hier im Zug bist du wirklich unterwegs. Du spürst jeden Stoß, die Entfernung. Es ist die reinste Form des Reisens.“
Die Sümpfe weichen felsigen Hügeln und trockenen Ebenen, die Weiden Mesquitebäumen und Kakteen, als der „Sunset Limited“ gegen Nachmittag die Grenze zu Texas passiert. Houstons Wolkenkratzer tauchen auf und verschwinden wieder, die Farben der Landschaft haben längst von Grün nach Orange gewechselt. Die Nacht bricht herein und die Passagiere mummeln sich in ihre Schlafsessel. Über ihren Köpfen funkeln die Sterne.
(...)
Text: Oliver Berry, Deutsche Bearbeitung: Olaf Heise, Fotos: Kris Davidson
Wie die Reise weitergeht, erfährst Du in der August-Ausgabe 2017 des Lonely Planet Traveller.