Japan ist eine Welt für sich, ein wunderbarer Planet vor der Küste des chinesischen Festlandes. In gewisser Weise ist die Inselgruppe ein kulturelles Galapagos – ein Ort, an dem sich eine einzigartige Zivilisation ungestört und unbeeinflusst von Eindringlingen entwickeln konnte. Zwar gab es über die Jahrtausende einen Austausch mit westlichen und östlichen Gemeinschaften, doch sobald deren „Kulturexporte“ japanischen Boden erreichten, wurde ihnen sogleich ein typisch japanischer Stempel aufgedrückt.
Noch immer fällt es schwer, Japan einer bestimmten Kategorie zuzuordnen: Ist es das technisch fortschrittlichste Land der Welt oder ein Bollwerk traditioneller asiatischer Kultur? Ist Japan nur ein Außenposten des Westens oder versteckt sich etwas durch und durch Ostasiatisches hinter der modernen Fassade? Diese Fragen sind schwer zu beantworten, doch wer sich auf die Suche begibt, wird eine Menge Spaß haben!
Vor allen Dingen ist Japan ein Ort fantastischer Kontraste: Man findet uralte Tempel und futuristische Städte, in Nebel gehüllte Hügel und pfeilschnelle Hochgeschwindigkeitszüge, Geishas in Kimonos und Geschäftsleute in schicken Anzügen, Dörfer mit strohgedeckten Häuschen und in Neonlicht getauchte Großstadtdschungel. Gerade diese eigentümliche Koexistenz von Modernem und Traditionellem macht Japan zu einem faszinierenden Individualreise-Ziel.
Bei aller Einzigartigkeit gibt es jedoch auch viele Gemeinsamkeiten mit anderen Staaten. Dazu zählt u. a. die Wirtschaftslage. Die weltweite Rezession, die 2008 mit der US-Immobilienkrise begann, hat Japan schwer getroffen. Seine exportorientierte Wirtschaft war schon immer erheblich von der wirtschaftlichen Stärke der Handelspartner abhängig, insbesondere der Vereinigten Staaten. Tatsächlich wurde schon mehrfach beobachtet, dass Japan eine Erkältung bekommt, wenn Amerika niesen muss. Und dieses Mal blieb es nicht bei einem einfachen Schnupfen.
Als die Preise auf dem US-amerikanischen Immobilienmarkt fielen und der Aktienmarkt einbrach, hörten die sonst so kauffreudigen Konsumenten auf, japanische Produkte zu kaufen. Das wirkte sich unmittelbar auf die Wirtschaft des Inselstaats aus. Im Januar 2009 gingen die Exporte im Vergleich zum Vorjahr um 46 % zurück. Bei einem Land, das ca. 20 % aller produzierten Waren exportiert, kann man diese Entwicklung nur verheerend nennen; die berühmte „Bubble Economy“-Krise in den späten 1980er-Jahren wirkt daneben geradezu unspektakulär.
Diese Situation wird zusätzlich dadurch verschlimmert, dass Währungshändler den japanischen Yen immer weiter aufgekauft und zu einer der teuersten Währungen der Welt gemacht haben. So sind japanische Exportwaren noch unattraktiver für ausländische Käufer geworden. Zurückgeblieben ist eine strauchelnde Volkswirtschaft, und Tag für Tag werden in den japanischen Zeitungen neue Hiobsbotschaften verkündet: Steuereinnahmen sinken, Angestellte werden in Massen entlassen, Firmen verzeichnen enorme Umsatzeinbußen. Noch ist es zu früh, um sagen zu können, wie sich die Dinge in den folgenden Monaten und Jahren entwickeln werden, fest steht jedoch, dass viele Unternehmen Bankrott gehen werden (darunter auch einige, die in diesem Reiseführer aufgeführt sind).
Als wäre dies noch nicht genug, hat Japan neben der aktuellen Weltwirtschaftskrise mit zwei weiteren schwerwiegenden Problemen zu kämpfen: der niedrigen Geburtenrate (in der Vergleichsgruppe – den übrigen Industrienationen – werden nur in Italien weniger Kinder geboren) und der Überalterung der Bevölkerung. Die höchste Einwohnerzahl verzeichnete das Land 2006 (127,46 Mio.). Man schätzt, dass diese Zahl bis Mitte 2009 um fast 400 000 geschrumpft sein wird. Experten gehen davon aus, dass es 2050 vielleicht nur noch 100 Mio. Japaner geben wird, was wiederum die Frage aufwirft, wer zukünftig in den Fabriken arbeiten und sich um all die älteren Menschen kümmern soll.
Um dieser Probleme Herr zu werden, experimentiert man seit Kurzem mit einem Lösungsansatz, der in Hongkong bereits in die Praxis umgesetzt wird: Man „importiert“ Arbeiter aus Südostasien und lockert die Visabestimmungen, sodass Krankenschwestern aus Indonesien, Vietnam oder den Philippinen zeitweise in Japan arbeiten können. Kritiker haben dieses Vorgehen als indirekt rassistisch verurteilt, da den Schwestern der Weg zu einer permanenten Aufenthaltsgenehmigung verwehrt bleibt. Nichtsdestotrotz betrachten viele die Zuwanderung von Krankenschwestern nur als erste Einwanderungswelle ausländischer Fachkräfte, die vielleicht auf lange Sicht die konservative Haltung der Japaner gegenüber Immigranten (manche würden sogar von Xenophobie sprechen) ändern werden.
Auch in anderen Bereichen des japanischen Alltags vollzieht sich ein Wandel. Traditionell waren eine lebenslange Anstellung in ein und derselben Firma, altersbasierte Beförderungen und das starke soziale Netz Eckpfeiler der japanischen Gesellschaft, doch Schritt für Schritt werden diese Strukturen zugunsten flexiblerer Arbeitsbedingungen und straffer privatisierter Regierungsservices (z. B. bei der Post) aufgeweicht. Mittlerweile ist nicht mehr die Rede davon, dass alle Japaner der Mittelklasse angehören, man spricht vielmehr von einer Zwei-Klassen-Gesellschaft, in der sich kachi-gumi (Gewinner) und make-gumi (Verlierer) gegenüberstehen.
Derzeit sieht es so aus, als wenn die Politiker und großen Firmen, die Auslöser für diese Veränderungen waren, zu hoch gepokert haben. Weil die negativen Auswirkungen des neuen ökonomischen Modells zu einer allgemeinen Unzufriedenheit in der Bevölkerung geführt haben, konnte die progressivere Demokratische Partei Japans an Boden gewinnen. Bei der Parlamentswahl 2009 lösten die Demokraten die Liberaldemokratische Partei ab, die seit 1955 fast ununterbrochen regiert hatte, und leiteten damit einen historischen Machtwechsel ein.
Die Beziehung zu Nordkorea (besser gesagt der Mangel an diplomatischem Austausch) bereitet den Japanern unverändert Kopfzerbrechen. 2006 testeten die Nordkoreaner eine Atombombe – erfolgreich –, und im April 2009 wurde eine Rakete über Japan geortet. Zwar beteuerte Nordkorea, es handle sich nur um einen Satelliten, doch viele Japaner befürchteten, dass es damit seine Fähigkeit demonstrieren wollte, militärische Sprengköpfe über dem Japanischen Meer abzufeuern. Außerdem bestand die Gefahr, dass Teile der Rakete in Japan niedergehen könnten. Später kamen US-amerikanische und japanische Spezialisten zu dem Schluss, dass der Atomtest fehlgeschlagen war, aber dies beruhigte die japanische Bevölkerung kaum.
Natürlich gibt es auch gute Nachrichten aus dem Land der aufgehenden Sonne: Drei japanische Wissenschaftler wurden 2008 mit dem Nobelpreis in Physik geehrt und japanische Athleten sahnten bei der Olympiade in Peking 26 Medaillen ab – mehr als je zuvor. Regisseur Takita Yojiro erhielt für Okuribito den Oskar für den besten ausländischen Film und japanische Manga (Comics) und Anime-Filme haben nach wie vor eine riesige Fangemeinde. Außerdem wird das fantastische shinkansen-System (Hochgeschwindigkeitszüge) weiter ausgebaut; schon jetzt verfügen die Japaner über das weltweit größte Schienennetz für Hochgeschwindigkeitszüge.
Japan ist nicht nur für Touristen aus dem Westen ein interessantes Reiseziel, auch aus asiatischen Nachbarländern wie China, Südkorea, Taiwan und Singapur strömen Urlauber hierher. In Skigebieten wie Niseko trifft man so viele Australier, dass einige Japaner dieses Gebiet schon als „Klein- Australien“ bezeichnen. Zwar sind die Besucherzahlen unlängst etwas zurückgegangen, doch der Beliebtheitsgrad Japans wird sicher weiter steigen, sobald sich die Welt ein wenig von der Rezession erholt hat. Immer mehr Menschen lassen sich von diesem Land bezaubern, das unglaublich fremd und exotisch und dabei wunderbar einladend ist.