Die UNESCO-Auszeichnung schützt kulturelle Meisterwerke und einzigartige Naturlandschaften. Gleichzeitig lockt sie Touristen aus aller Welt an. Kann der Erhalt trotzdem gelingen?
Die Freiheitsstatue, die Große Mauer in China, die peruanische Inkastadt Machu Picchu, der Kölner Dom und sogar die Altstadt von Quedlinburg – sie alle gehören zum Weltkulturerbe. Es mag wohl kaum einen Reisenden geben, der nicht schon einmal vor einer solchen Stätte stand. Experten beschäftigt daher zunehmend die Frage, ob der Tourismus eine Gefahr für das Welterbe ist. Eine universelle Antwort gibt es nicht. Wenn Kultur zum Reisen anregt, ist das grundsätzlich eine gute Sache. Doch viele Orte sind völlig überlaufen.
Aber der Reihe nach: Was genau verbirgt sich eigentlich hinter dem etwas sperrigen Titel? Gegründet wurde die Unesco-Kommission im Jahr 1972. Ihr oberstes Ziel ist es, kostbare Denkmäler und Naturgebiete zu schützen und sie für nachfolgende Generationen zu erhalten. Um das auch für ärmere Staaten der Erde möglich zu machen, unterstützt ein Welterbekomitee die 189 Unterzeichnerstaaten durch wissenschaftliche und finanzielle Hilfe.
Doch der Weg zum begehrten Titel ist lang: Deutsche Bewerbungen durchlaufen das Landesministerium, eine Kultusministerkonferenz der Länder und erreichen dann den Unesco-Hauptsitz in Paris. Über Aufnahme oder Ablehnung entscheidet das Welterbekomitee. Wichtigstes Arbeitsmittel: ein komplexer Kriterienkatalog, bestehend aus zehn Kennzeichen. Grundvoraussetzungen sind aber immer die Einzigartigkeit, die historische Echtheit und die Unversehrtheit der Stätten.
Den langwierigen Prozess hat auch der Bergpark Wilhelmshöhe in der Documenta-Stadt Kassel erfolgreich hinter sich gebracht. Seit Juni dieses Jahres belegt er Platz 38 auf der Liste der deutschen Welterbestätten. Deutschland zählt mit zu den meistausgezeichneten Staaten. Spitzenreiter mit 49 Einträgen ist Italien, gefolgt von China mit 45 registrierten Denkmälern. 981 Kultur- und Naturgüter sind es weltweit. 20 bis 30 Orte kommen jährlich hinzu. An Auszeichnungen wird also nicht gespart. Gibt es demnach bald keine Altstadt, keine Kirche, keinen Park mehr ohne Unesco-Zertifizierung? Der stellvertretende Generalsekretär der Deutschen Unesco-Kommission Dieter Offenhäußer hält diese Sorge für unbegründet: „Weltweit existieren 6000 Sprachen, da sind knapp 1000 Stätten global gesehen nicht viel.“ Immerhin: Deutschland darf künftig maximal einen Vorschlag im Jahr abgeben.
Was passiert, wenn man den Titel in der Tasche hat? Die jeweilige Nation hat dann die Pflicht, ihre Monumente zu pflegen, von der Reinigung bis zur Restaurierung. Auch beim Bau von neuen Straßen, Brücken und Gebäuden muss sie Rücksicht nehmen. Das gelingt nicht immer. Die Schuld liegt aber selten bei den Ländern. In Timbuktu in Westafrika wurden 2012 neun Mausoleen von Rebellen zerstört. Und im Everglades National Park bedroht schlechte Wasserqualität marine Arten.
Inwiefern hier auch der Tourismus eine Rolle spielt, wird heftig diskutiert: Einerseits weiß man, dass der Unesco-Titel wie ein Magnet Menschen aus aller Welt anzieht, andererseits fordern Spezialisten nachhaltigen, umweltverträglichen Tourismus jenseits der Massen. Wo steigende Besucherzahlen dringend erforderlich sind und wo sie eher Schaden anrichten, muss individuell beurteilt werden. Positiv wirkt sich der Titel in unbekannten Regionen aus, die ihn als Aushängeschild nutzen, um Kultur und Wirtschaft anzukurbeln. „Probleme entstehen dann, wenn es Proportionen wie in Venedig gibt. Dort treffen ca. 260.000 Einwohner auf 18 Millionen Besucher im Jahr. Da kann man nicht mehr von Vorteilen oder Nachhaltigkeit sprechen“, sagt Dieter Offenhäußer. Gelingt hingegen ein sanfter Tourismus, profitieren alle: Arbeitsplätze entstehen und die Besucher entdecken bedeutende Sehenswürdigkeiten. Manchmal sogar vor der eigenen Haustür.
Experten-Interview
„Welterbestätten brauchen sanften Tourismus“
Der Pressesprecher und stellvertretende Generalsekretär der Deutschen UNESCO-Kommission Dieter Offenhäußer kennt die touristischen Effekte der Auszeichnung.
LPT: Lockt der Unesco-Titel mehr Touristen zu den Welterbestätten?
Offenhäußer: Vor allem im Jahr der Anerkennung sind die Auswirkungen enorm. Die Stätten treten dann verstärkt in den Medien auf. In der Regel sind die Besucherzahlen erst mal höher, dann rückläufig und pendeln sich kurze Zeit später auf einem etwas höheren Niveau ein. Zudem wird das Publikum internationaler.
Wird die Welterbe-Auszeichnung als touristisches Label missbraucht?
Ich sage lieber, dass der Titel genutzt wird. Welterbestätten sollen nicht musealisiert werden, sie sollen für die Bevölkerung zugänglich sein. Ich verstehe auch, dass Regionen wie das Obere Mittelrheintal den Welterbestatus nutzen, um den eingeschlafenen Tourismus anzukurbeln. Die Frage ist nur, wie das geschieht.
Spielt Nachhaltigkeit hier eine Rolle?
Unbedingt! Welterbestätten brauchen sanften Tourismus – in ökologischer und sozialer Hinsicht. Als Besucher muss man Verständnis für die Stätte selbst aufbringen, aber auch für die Menschen, die dort leben. In Deutschland ist das Wattenmeer ein lehrreiches Beispiel. Hier rät die Parole ,Das Watt ist Event genug‘ zur Entschleunigung. Gäste sollen auf Bus und Bahn umsteigen und Restaurants bieten regionale Speisen.
Wo ist Massentourismus ein Problem?
In Angkor Wat in Kambodscha etwa stiegen die Besucherzahlen jüngst auf acht Millionen. Wenn man vor lauter Touristen das Welterbe nicht mehr sieht, ist das sehr bedenklich.
Text: Alina Halbe
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