Ob er mit dem kniffeligen “Pfau” seine Yoga-Fähigkeiten öffentlich unter Beweis stellt oder mit seinem kleinen Sohn in den Sälen des kanadischen Unterhauses Verstecken spielt: Trudeau traut sich, anders zu sein.
Es ist also wenig überraschend, dass seine unkonventionelle Art die Aufmerksamkeit der Menschen erregt. Besonders deutlich wird dies durch seine große Anhängerschaft in den sozialen Medien, wo er regelmäßig seine Reisen zu Hause und im Ausland dokumentiert.
Wir trafen uns mit Kanadas 23. Premierminister, um mit ihm über die große Anziehungskraft seines Heimatlandes zu sprechen, ihm persönliche Insidertipps für Besucher zu entlocken und herauszufinden, was für ihn das Reisen bedeutet - angefangen bei seinen Tagen als Backpacker, der die Welt mit einem getreuen Lonely Planet Reiseführer in der Hand erkundete.
Lonely Planet hat Kanada für das Jahr 2017 zum besten Reiseland gekürt – wie würden Sie die Faszination des Landes in einem Satz zusammenfassen?
Vom Hundeschlittenfahren in den Nordwest-Territorien bis zum Surfen in Tofino, von der Geschichte Old Quebecs bis zur Lebendigkeit des multikulturellen Torontos, von den atemberaubend klaren Himmeln über der Prärie bis zum herzlichen Empfang auf der George Street in St. John’s, vom Nervenkitzel beim Skifahren in den Rockies bis zu der stillen Freude, die man empfindet, wenn man im Algonquin Park an einem Elch vorbeipaddelt – nirgends sonst auf der Welt wird diese Fülle an Abenteuern geboten, wie sie einen in Kanada erwartet.
Was könnte die Menschen an Kanada überraschen?
Der kanadische Premierminister Mackenzie King sagte einmal: “Andere Länder haben zu viel Geschichte, Kanada hat zu viel Geographie.” Ohne Zweifel besitzt Kanada sehr viel Geographie, allerdings haben wir auch eine unglaublich reiche und vielfältige Geschichte. Es ist nahezu unmöglich, in einem Rutsch, in nur einer Sprache oder aus nur einer Perspektive angemessen über Kanadas Vergangenheit zu berichten. Aus diesem Grund hoffe ich, dass Besucher etwas Zeit mitbringen, sich über die Ureinwohner zu informieren – die First Nations, Métis und Inuit – die bereits seit Tausenden von Jahren hier leben.
Ich hoffe auch, dass sich Besucher unsere National Historic Sites ansehen. Diese Sehenswürdigkeiten bieten eine großartige Möglichkeit, sich mit den außergewöhnlichen Persönlichkeiten und Ereignissen vertraut zu machen, die Kanada zu dem gemacht haben, was es heute ist. Fast tausend davon sind im ganzen Land verteilt, in allen zehn Provinzen und den drei Territorien. (Und ja, es gibt auch eine App dafür.)
Kanada feiert dieses Jahr sein 150-jähriges Jubiläum – welche Atmosphäre kann man erwarten?
Eine freundliche, festliche und herzliche – wie eh und je. Wir hoffen, dass viele Menschen zu uns kommen, um mit uns zu feiern und zu entdecken, was unser schönes Land zu bieten hat.
Was ist für Reisende in diesem Jahr einzigartig?
Im Zuge der Feierlichkeiten zu Kanadas 150. Jubiläum gewähren wir das ganze Jahr lang freien Eintritt in unsere Nationalparks, Meeresschutzgebiete und zu den nationalen Sehenswürdigkeiten. Es wird beispiellose Möglichkeiten geben, etwas über die Ureinwohner des Landes zu erfahren und Kanadas reiches Erbe sowie die kulturelle Vielfalt während des Pan-Canadian Signature Projects zu erkunden. Und auf keinen Fall sollte man den Canada Day vergessen! Der 1. Juli wird ein einzigartiges Fest, dass sich von Küste zu Küste erstreckt und in dieser Form nur einmal in jeder Generation vorkommt.
Gibt es Insidertipps oder Geheimnisse, die Sie mit zukünftigen Besuchern teilen wollen?
Eine Karte zeigt nicht mal annähernd den wahren Umfang Kanadas und das Reisen mit dem Flugzeug wird dem Land nicht gerecht. Ich möchte Besucher deshalb ermutigen, unser Land vom Boden aus zu erkunden. Wandern Sie im Banff National Park um türkisfarbene und von Gletschern gespeiste Seen herum, radeln Sie, vorbei an zerklüfteten Felsen, den Cabot Trail entlang oder nehmen Sie ein Kajak, um die spektakulären Wasserstraßen der Haida Gwaii Inseln zu erkunden. Dies sind nur einige der vielen Möglichkeiten, um Kanadas Landschaften Tribut zu zollen und Menschen zu begegnen, die die Weite und die Schönheit des Landes wertschätzen.
Wir glauben, dass verantwortungsvolles Reisen eine Kraft des Guten ist – haben Sie diesen Grundsatz während Ihrer Amtszeit beobachten können?
Ich habe das Reisen immer als eine der besten Möglichkeiten gesehen, um Menschen zu verstehen – inklusive sich selbst. Das Reisen nimmt uns aus unserem gewohnten Umgebung heraus und diese Distanz zur täglichen Routine hilft uns dabei, dass wir über uns nachdenken und uns neu sortieren. Reisen bringt uns außerdem mit einer unglaublichen Vielfalt in Berührung. Wir treffen neue Menschen, hören ihre Geschichten, lernen neue Gedanken kennen und entdecken Gemeinsamkeiten. Wir machen uns mit unseren Gegensätzen vertraut und entdecken, wie viele gemeinsamen Werte und Sehnsüchte uns vereinen.
Während all das eine Kraft des Guten ist, wirken wir auch unbeabsichtigt auf unsere Umgebung ein. Es ist wichtig, uns der Umwelt und der Kultur, die uns umgibt, bewusst zu sein. Als kleines Beispiel kompensiere ich den CO2-Ausstoß, den meine jeweilige Reise erzeugt.
Sind Sie in Ihrer Jugend viel gereist?
Ich hatte großartige Möglichkeiten, Kanada und viele andere Länder auf der ganzen Welt zu erkunden, während ich als Junge mit meinem Vater und später, nachdem ich die Universität abgeschlossen hatte, alleine gereist bin.
Welches Reiseerlebnis hat Sie am meisten geprägt?
Mit Anfang 20 ging ich für zehn Monate mit verschiedenen Freunden auf Weltreise. Zunächst nach Venezuela und Kolumbien, dann nach Westeuropa, mit dem LKW durch Nord- und Westafrika, Weihnachten in Helsinki, Silvester in der Transsibirischen Eisenbahn, wochenlang durch China und Hongkong, zum Tet-Fest nach Vietnam, um schließlich in Thailand am Strand zu landen. Der einzige Begleiter, der ständig an meiner Seite war? Lonely Planet.
Sie sind Vater. Welche Erfahrungen haben Sie beim Reisen als Familie gemacht - gute und (seien wir ehrlich) nicht so gute? Gibt es Lieblingsplätze zum Reisen mit Kindern – in Kanada oder im Ausland?
Viele Städte haben wunderbare Museen und Wissenschaftszentren für Kinder. Ich finde, solche Einrichtungen eignen sich nicht nur hervorragend dafür, um Kindern zu zeigen, wo wir uns befinden, sondern auch um ihnen bewusst zu machen, dass man auf Reisen viel Neues lernen kann. Das Science North in Sudbury, Ontario, ist bei unserer Familie besonders beliebt.
Welchen Reisetraum möchten Sie sich unbedingt erfüllen?
Ich kann es kaum erwarten, dass meine Kinder alt genug sind, um richtige Familienabenteuer abseits der Touristenpfade zu erleben. Paddeln auf dem Amazonas, Trekking am Fuße des Himalaya, Camping in den Torngats im Norden Labradors oder Reiten in Patagonien – um nur ein paar zu nennen.
Haben Sie bestimmte Reisegewohnheiten oder etwas, ohne das Sie Ihr zu Hause nicht verlassen?
Ich gehe niemals ohne ein Leatherman Multitool und ein Taschenbuch (oder drei) auf Reisen.
Was ist mit Horrorerlebnissen? Waren Sie jemals auf einer Reise, auf der alles schief ging?
Nein. Es gab natürlich zahlreiche schwierige, langweilige, frustrierende oder beunruhigende Momente, die jedoch stets dafür sorgten, sich selbst zu testen und sich als Mensch weiter zu entwickeln. Außerdem sind das die weitaus besseren Geschichten, wenn man nach Hause kommt.
Nach all den Orten, an denen Sie waren und all den Menschen, die Sie getroffen haben, was bedeutet Ihnen das Reisen?
Die Freiheit, spontan zu sein, die Herausforderung, sich der Welt anzupassen, statt zu erwarten, dass die Welt sich an einen selbst anpasst. Und auch die Möglichkeit, mehr über sich selbst herauszufinden, indem man Menschen mit komplett unterschiedlichen Lebensweisen und Erfahrungen trifft und lernt, trotzdem Gemeinsamkeiten mit ihnen zu entdecken.
Veröffentlichung Juni 2017, Übersetzung: Timea Farkas / Lonely Planet Deutschland