Der Nordosten Spaniens hat alles, was man sich von einem Urlaubsland wünscht: Sonne, Strände, spektakuläre Küsten und einen riesigen Nationalpark mit Dreitausendern.
Hier kommen fünf Lieblingsorte zum vergnüglichen Abreisen
Vor dem Tresen ist es am frühen Abend gerappelt voll. Im „El Xampanyet“ im Stadtteil La Ribera wollen alle eines: Tapas und Cava. Es strömen mehr Gäste rein als raus. Stimmengewirr wabert durch den kleinen Raum, Tellerklappern, Gläserklirren. Die Barmänner verteilen Unmengen der typischen Pinchos, kleine Weißbrotscheiben mit köstlichen Schweinereien drauf: Schinken, Käse, würzige Würstchen, Tortilla, Oliven und Tomaten … In den Gläsern der meisten Besucher perlt es fröhlich vor sich hin. „Das ist der katalanische Schaumwein Cava. Wer den mag, muss unbedingt hier einkehren“, sagt Bego Sanchis mit einem wissenden Lächeln im Gesicht. Ihr gehört die barcelonische Kochschule „Cook & Taste“, in der man auch ihre berühmten Tapas-Bar-Touren buchen kann. Ihre erste Schlemmerstation ist – na klar! – „El Xampanyet“. „Schließlich ist der Laden eine Institution in unserer Stadt“, sagt Sanchis und prostet mit einem auffordernden „Salute!“ ihrem Gegenüber zu. Die eigentliche Quelle des Cava liegt übrigens nicht in Barcelona, sondern im westlich der katalonischen Hauptstadt gelegenen Örtchen Sant Sadurní d’Anoia. Dort stellen über 200 Kellereien den weltberühmten Schaumwein her. „Bevor wir weiterziehen, probieren Sie die in Essig eingelegten Anchovis“, Senora Sanchis deutet auf einen Teller voller kleiner Fischfilets, „die schmecken kräftig und gut!“ Recht hat sie. Dann winkt sie zum Aufbruch. Kreuz und quer geht es durch die Gassen von Barcelona. Ihr Ziel: das „Quimet i Quimet“ im Stadtteil Poble Sec-Montjuï. Der Spaziergang dorthin hat sich gelohnt. In der Bar reichen die Regale bis unter die Decke. In denen reiht sich eine Weinflasche an die nächste. Dazu lockt eine gut gefüllte Vitrine mit Oliven, eingelegten Paprika, Banderillas (Appetithappen auf Spießchen) und Pescaditos (gebratene Fischstücke). Bego ordert prompt: Anchovis, Garnelen, Muscheln und Montadito, eine Scheibe Brot, belegt mit Honig-Frischkäse und Lachs – köstlich! „Es heißt, früher legte man geröstete Brotscheiben samt Belag auf sein Weinglas, um es vor Insekten zu schützen“, erklärt Bego. Dieser „Tapa“, der Deckel, wurde so zum begehrten Snack. Die Katalanen genießen die kleinen Köstlichkeiten mittags genauso wie zum späten Abendessen. Eigentlich reicht es längst mit der Nahrungsaufnahme, doch Bego hat noch einen Tipp parat: die „Xarcutería La Pineda“ nahe der Prachtmeile La Rambla im gotischen Viertel. Dieser Mix aus Schlachter, Tante-Emma-Laden und Nachbarschaftstreff versorgt schon seit 1930 das Viertel. Dicht gedrängt hängen Schinken von der Decke, auf dem Boden finden ein paar kleine Bistro-Tische Platz. Ein älterer Herr spielt Gitarre. Vor ihm eine Portion feinster Ibérico-Schinken und ein Glas blutroter Wermut. „Tapas“, sagt Senora Sanchez, „sind immer ein guter Grund, sich mit Freunden zu treffen.“ In diesem Sinne: Buen provecho!
Costa Brava heißt „wilde Küste“. Der Schriftsteller Ferran Agulló gab der etwa 220 Kilometer langen Region im Nordosten Spaniens Anfang des 20. Jahrhunderts ihren Namen. Von den Ausläufern der Pyrenäen an der französisch-spanischen Grenze bis zum Örtchen Blanes, 60 Kilometer von Barcelona entfernt, verstecken sich unzählige naturbelassene Badebuchten. Zwar wird es in einigen in der Hauptreisezeit ganz schön trubelig, besonders in den Touristenhochburgen Lloret de Mar und Platja d’Aro, doch findet man so manche kleine Perle fürs ausgiebige Badevergnügen. Mehr als 20 Strände tragen an der Costa Brava die weißblaue Flagge der „Foundation for Environmental Education“ (FEE), quasi die Goldmedaille für Wasserqualität. Circa 90 Kilometer nordöstlich von Barcelona liegt das Seebad Tossa de Mar. Ruhiger als der Hauptstrand sind dort die anliegenden Buchten Platja del Reig oder Platja Mar Menuda. Tipp: nach dem Sonnenbaden einen Bummel durch die verwinkelten Gassen der denkmalgeschützten Altstadt von Tossa de Mar, die Vila Vella, starten. Und anschließend den Sundowner in einer der Bars an der Strandpromenade einnehmen. Das Dorf Calella de Palafrugell, östlich von Girona, lohnt auch einen Abstecher. Dort gibt es einen kleinen Stadtstrand, lauschiger sind allerdings die Buchten nördlich des Ortes. Die schönsten sind Llafranc, Tamariu, Aiguablava und Sa Riera. Dort ist es im Sommer zwar ebenfalls voll, aber hier kann man selbst an der Strandpromenade bestens essen (v. a. frischen Fisch). Reichlich Platz bieten die kilometerlangen Strände zwischen Sa Riera und Estartit sowie die Bucht von Roses. „Hier an der Costa Brava“, erzählt Noemí García, die im Sommer als Rettungsschwimmerin in Calella de Palafrugell jobbt, „machen auch die Spanier gern Urlaub. Am Strand hört man fast ausschließlich Spanisch und Katalanisch. Wir lieben eben diesen Küstenstrich.“ Darauf ab ins Meer, Leute!
Kein Ort Spaniens liegt östlicher als dieser: Das Cap de Creus ist eine wildromantische Halbinsel, die in das Mittelmeer hineinragt und einen der berühmtesten Künstler des Landes zu Begeisterungsstürmen hinriss: Salvadore Dalí liebte den heutigen Naturpark, den man vom Örtchen Figueres aus über eine kurvenreiche Straße gen Osten durchquert, bis man schließlich im hübschen Cadaqués am Wasser landet. In zahlreichen Werken hat Dalí, der 1904 in Figueres geboren wurde und von 1930 bis zu seinem Tod 1989 mehrere Monate pro Jahr in Cadaqués lebte, dieses Cap verewigt. „Es ist unmöglich, Dalís Surrealismus zu verstehen, ohne seine Beziehung zu diesem ungewöhnlichen Flecken Erde zu kennen“, sagt sein Freund Antoni Pitxot. Schon als Junge verbrachte der kleine Salvadore die Sommerferien in der Region. „Er konnte stundenlang die bizarren Felsen am Cap beobachten und staunte darüber, wie sehr das Sonnenlicht die Landschaft veränderte“, erzählt Senor Pitxot. Cadaqués wurde einer der Lieblingsorte Dalís. Ein winziges Fischerdorf mit weiß getünchten Häusern, das bis heute als eines der schönsten Dörfer Kataloniens gilt. Dalís Vater stammte von hier. Im Jahr 1948 kaufte der Künstler schließlich für sich und seine Muse Gala eine Fischerhütte ganz in der Nähe. In der Bucht von Portlligat erwarb „der Verrückte“, wie sie ihn im Dorf gern nannten, nach und nach weitere angrenzende Hütten, die er mit Gängen und Korridoren verband. Jede Ecke dieses Wohn- und Arbeitslabyrinthes, das heutige „Casa-Museu Salvador Dalí“, erinnert an den großen Surrealisten. Am phallusförmigen Pool seines ausgebauten Refugiums gab Dalí gern den Kunst-Zampano. Dass dieser einmal einer der bedeutendsten Maler des 20. Jahrhunderts werden würde, ahnten die Dorfbewohner nicht – der exzentrische Künstler anscheinend schon: 1970 begann er, in Figueres das einstige Theater umzubauen. Das „Teatre-Museu Dalí“ mit den weißen Eiern, den Götterstatuen auf dem Dach und den gelben Brotlaiben an den roten Außenmauern zählt heute zu den meistbesuchten Museen Spaniens. 1500 Bilder aus Dalís Frühzeit und der späteren Schaffensperiode sind zu sehen. Seine Meisterwerke sind zwar nicht darunter, aber allein der Raum, den Dalí nach dem Antlitz der Hollywood-Diva Mae West gestaltet hat, mit einem roten Sofa als Mund und einem Kamin als Nase, lohnt den Besuch. Kurz vor seinem Tod verfügte Dalí, dass er mitten im Museum auf der ehemaligen Theaterbühne bestattet wird. Was für eine großartige Inszenierung, Salvadore.
„Küss den Hintern der Löwin, wenn du wiederkommen willst“, sagen die Gironiner gern und schicken unwissende Fremde zum Plaça Sant Feliu. Dort schmückt besagtes Hinterteil der besagten Raubkatze eine hohe Steinsäule. Ersterem drückt man dann einen Knutscher auf – damit das bequem geht, haben die Stadtväter eine Art Treppe angebracht – und kann (angeblich) sicher sein: Ich komme zurück in diese schöne Stadt. Girona ist die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, circa 103 Kilometer nördlich von Barcelona und knapp 30 Kilometer von der Küste entfernt gelegen. Diese Stadt ist „grau und dunkel“, schrieb 1905 der Dichter Josep Carner nicht gerade freundlich. Heute hätte er Unrecht. Die Häuser entlang des Flusses Onyar sind längst bunt getüncht. In der Altstadt findet man rund um die Rambla de la Llibertat Boutiquen, Cafés und Restaurants. Ein enges Gewirr aus Gassen, steil ansteigende Kopfsteinpflasterstraßen, römische und mittelalterliche Bauten und Mauern – jeder Stein scheint hier ein Stück Geschichte zu erzählen. Das ehemalige Judenviertel El Call ist ein einziges Labyrinth aus engen Treppenwegen. Die stolze Kathedrale Santa Maria thront über allem. Sie ist nur über 90 Stufen zu erreichen und besitzt das breiteste gotische Kirchenschiff der Welt. 51 Meter Länge, 34 Meter Höhe und fast 23 Meter Breite – alles ohne eine stützende Pfeilerkonstruktion. Das sei technisch nicht machbar, meinte die Mehrzahl der Baumeister im 15. Jahrhundert. Doch das Unmögliche hält bis heute. Die geschäftige Hauptgasse der Altstadt mit dem Namen Carrer de la Força (Straße der Stärke) erinnert an den besonderen Widerstandswillen ihrer Bürger. Dort gehen mitunter merkwürdige Dinge vor sich. Ein Mann läuft als Napoleon verkleidet durch die Gassen. Er heißt José und posiert gern für ein Erinnerungsfoto. Warum er als französischer Feldherr durch die Altstadt promeniert? „Weil es Spaß macht und ich stolz auf unsere Historie bin. Schließlich haben wir den Truppen Napoleons 1809 sieben Monate lang getrotzt.“ Die günstige Lage an der römischen Heeres- und Handelsstraße Via Augusta machte Girona durch die Jahrhunderte zu einem begehrten Ziel. Und auch heute noch wird „die Unsterbliche“, wie die rund 96.000 Einwohner ihre Stadt gern nennen, dafür heiß geliebt.
Das naturgebliebene Wunderwerk heißt – Vorsicht, Zungenbrecher – Parc Nacional d’Aigüestortes i Estany de Sant Maurici. Dicht unter der Grenze zu Frankreich liegt es. „Unser Park ist die beste alpine Landschaft auf kleinstem Raum, die es gibt!“, sagt Josep Maria Rispa stolz, und keinesfalls wagt man, ihm zu widersprechen. Immerhin arbeitet Senor Rispa seit 20 Jahren als Ranger hier im imposanten Hochgebirge der Pyrenäen. Über 20 Kilometer von Osten nach Westen und neun Kilometer von Norden nach Süden erstreckt sich der einzige Nationalpark Kataloniens auf 408 Quadratkilometern. Schon der Name verrät seine Besonderheiten: Estany ist das katalanische Wort für Seen und Aigüestortes heißt so viel wie gewundene Flüsse. Von ersteren gibt es mehr als 200 im Park, Bäche und Wasserfälle sieht man überall. Vor über 200 Millionen Jahren ist das Gebiet aus Gletscherbewegungen entstanden. Seit 1955 zählen die Seen, die schneebedeckten Granit-Gipfel, die unzähligen Täler, klaren Flüsse und grünen Wälder in der Provinz Lleida zum geschützten Areal. Eine Wildnis, in der seltene Bartgeier ihre Runden ziehen und halbwilde Pferde über die Wiesen traben. Was liebt Ranger Rispa hier besonders? „Dieser Park ist wie ein Miniatur-Mix aus Yellowstone, Kanada und den Alpen.“ Die höchsten Gipfel links und rechts der zwei Täler des Parks messen über 3000 Meter. „Vor diesen Bergen sollte man Respekt haben, hier schneit es schon mal mitten im Sommer“, betont Rispa. Doch niemand muss so hoch hinaus, um die Schönheiten der Landschaften zu entdecken. Seinen Privatwagen lässt man am Parkeingang stehen, und dann geht es zu Fuß weiter. Eine leichte Wanderung startet am Rande des schmalen Tales Vall de Boi, das für seine außergewöhnlichen romanischen Kirchen bekannt ist. Von der letzten Sammeltaxi-Station dauert der Marsch zum 2000 Meter hoch gelegenen See Llebreta gute 90 Minuten. Für Geübte lohnt die Strecke vom See Llong bis zum See Llebreta. Mit viel Glück kreuzen hier auch ein paar Otter den Weg. „Der See Llebreta ist das Herz des Parks“, erzählt Rispa. „Es scheint, als würde er zwei verschiedene Welten verbinden: den Westen mit dem rauen Atlantik-Klima und den Osten mit der milderen Mittelmeer-Brise.“ Dann schweigt der Ranger lange – so, als würde ihm dieses Bild noch immer die Sprache verschlagen.
Text: Anthony Ham & Karola Kostede
Barcelona
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