„Ein bisschen“ Natur gibt es in Norwegen nicht, nur jede Menge davon: in Form von azurblauen Fjorden, massigen Bergen mit Schneefetzen drauf, dichten Wäldern und herrlich ruhigen Inseln. Eine Tour durch Skandinaviens ursprüngliche Perle. Auf geht‘s per Bahn, Boot und zu Fuß.
Durch Norwegens dramatische Landschaft gibt es viele Wege: über Schienen, durchs Wasser oder am Abgrund entlang. Mit der Bahn geht es von der Hauptstadt Oslo in den historischen Hafen von Bergen, das Postschiff fährt an der Küste von Insel zu Insel und der Ausblick über die Fjorde lässt den Atem stocken.
Der Zug verlässt den Hauptbahn hof Oslos und macht sich auf seine Reise Richtung Westen. Mit jedem Kilometer, den er zurücklegt, werden die grauen Kästen aus Büros und Apartments weniger – und machen Platz für Weite, Luft, Natur … Bald gibt es nichts als grüne Wiesen, die im Morgenlicht leuchten, mit ein paar Bauernhöfen als rote und senfgelbe Tupfen.
Die Strecke von Oslo nach Bergen, auch Bergenbahn genannt, ist eine der schönsten Zugrouten der Welt und führt 516 Kilometer durch spektakuläre Landschaften. Kein Wunder, dass sich etliche Fahrgäste an den Fenstern die Nase platt drücken, ihre Kameras stets griffbereit. Andere, Pendler auf dem Weg zur Arbeit, dösen oder tippen auf ihren Laptops. Längst immun gegen den wunderbaren Blick, zieht sich einer sogar eine Schlafmaske auf. Und verpasst so auch, wie die Fenster sich merklich abkühlen – als der Zug sich auf über 1000 Meter Höhe schraubt, in eine karge „Wüste“ aus Geröll und Schnee. Weiter geht es über steile Gebirgspässe und durch Tunnel, die einst von Hand in den nackten Fels gehauen worden sind. Als die Bahnlinie 1909 eröffnet wurde, lobte man sie als Wunder der Ingenieurskunst, doch auch heute noch ist sie ein eindrucksvoller Beleg der Chuzpe ihrer Erschaffer.
Am Bahnhof von Finse steigen Wanderer mit Rucksäcken und schweren Stiefeln auf den Bahnsteig, ihr Atem dampft in der kalten Bergluft. Das Dorf mit seinen knapp 300 Einwohnern liegt am Nordrand des Hardangervidda – auf einer Seite des Tals fließt die weiße Zunge des HardangerjøkulenGletschers wie Sahne über die felsige Weite. Finse, 1222 Meter über dem Mee resspiegel, ist die am höchsten gelegene Bahnstation Europas und war ursprünglich als Barackensiedlung für die Streckenarbeiter gedacht. Tausende davon gruben sich mit Hacken und Dynamit durch die Berge, räumten, rodeten und verlegten Schienen unter oft abenteuerlichen Umständen. Dabei versuchten sie in ihrer Verzweiflung die allgegenwärtigen Läuse mit Dynamit loszuwerden. Sie erwärmten den Sprengstoff und schmierten die mürbeteigähnliche Konsistenz vorsichtig auf die Haut – riskant, da nachts bei Kerzenlicht geschuftet wurde.
So ist es nicht sonderlich überraschend, dass in den 15 Jahren, in denen die Strecke gebaut wurde, 63 Arbeiter ihr Leben verloren. Für Nicolay LangeNielsen, Regisseur aus Oslo, sind die zähen Bahnarbeiter Nationalhelden. 2012 feierte er sie daher mit der Uraufführung einer Oper, die ihre Geschichte erzählt. Hier in Finse, im alten Gebäude des „Rallarmuseums“, das sich ebenfalls dem Bau der Bergenbahn widmet. Aber der winzige Ort hat noch mehr Kulturgeschichte auf Lager: 1979 wurde Finse zu „Hoth“, dem Eisplaneten in „Das Imperium schlägt zurück“, George Lucas produzierte hier ein paar Szenen des fünften Teils seiner StarWars-Saga. Wem das zu viel Eis und Schnee ist, der steigt wieder in den Zug und lässt sich in die Täler Westnorwegens hinabtragen, zu saftig grünen Feldern und dichten Kieferwäldern, die am Fenster vorbeihuschen. Weiter geht es entlang des kurvigen, glitzernden Osterfjords, der so still daliegt, dass sich die Wolken darin spiegeln. Bis der Zug erst an ein paar, dann immer mehr Häusern vorbeifährt und unter einem langgezogenen Glasdach endlich zur Ruhe kommt. Bergen, Endstation. Inklusive der Sehnsucht, gleich wieder umzukehren und alles noch einmal zu erleben …
Text: Christa Larwood; Deutsche Bearbeitung: Alina Halbe & Christine Ritzenhoff; Fotos: Justin Foulkes.
Den vollständigen Artikel mit Infos zur Stadt Bergen, der Inselgruppe Solund und dem Aurlandsfjord finden Sie in der Mai-Ausgabe2015 des Lonely Planet Traveller.
Hinkommen
Ab Frankfurt a. M. geht’s mit Lufthansa und Scandinavian Airlines nonstop nach Oslo, ab Hamburg und Wien mit Norwegian Air. Von Zürich fliegt Swiss nonstop in die norwegische Hauptstadt. Alternativ bietet die Reederei Fjord Line Fährverbindungen z. B. zwischen Hirtshals, Dänemark und Langesund in Norwegen (ca. 1,5 Stunden südöstlich von Oslo).
Herumkommen
Das öffentliche Bahn-, Bus und Tramnetz in Oslo ist gut ausgebaut (Ticket ab ca. 8 €). Für Trips außerhalb der Stadt lohnt ein Mietauto (ab ca. 46 € pro Tag).
Weiterlesen
Im Lonely Planet „Norwegen“ (22,99 €) gibt es ein umfangreiches Kapitel zu Oslo und Tipps für Touren durch den Rest des Landes. Mehr aktuelle Infos findet man auf visitnorway.com/de.
Übernachten (Finse)
Finse 1222 Dieses schöne, über hundert Jahre alte Hotel könnte kaum praktischer liegen – in ihm residiert man direkt am Bahnsteig von Finse. Die Zimmer sind einfach gehalten, aber mit schönem Blick auf den Hardangerjøkulen-Gletscher. Trotz seiner Abgeschiedenheit hat das hoteleigene Restaurant außergewöhnlich gutes Essen auf der Karte: Suppen zum Aufwärmen, Herzhaftes wie Lammgerichte (von den Bauern der Gegend) und selbst gemachtes Brot. DZ mit Vollpension ab ca. 165 € p. P., finse1222.no