SchwedenDer mit dem Wolf heult

Der Ort: Schweden. Genauer gesagt: die Region Bergslagen. Die Helden: ein mystischer Wolf und ein heulender Bär. Das Opfer: ein Elch, zur falschen Zeit am falschen Ort. In weiteren Rollen: Wichtel, Elfen, Eulen, Füchse und als Special Guest: der innere Angsthase

Es geht durch Mark und Bein, dieses Heulen. Fliegt in die Dunkelheit der verschneiten Nacht. Wird lauter. Tja, das war es dann wohl. Rotkäppchen hätte uns eine Lehre sein sollen. Aber wir mussten ja unbedingt raus in den Wald. Zum Wolf. Ach was: zu den Wölfen, denn wo einer ist, da treibt sich auch meist ein Rudel herum - irgendwo zwischen den Silhouetten der Felsen und den schaukelnden Äste der Fichten. Doch dann! Das Heulen wird brüchig! Es mündet in ein Jammern und der Wald liegt wieder still da wie zuvor. Marcus Eldh räuspert sich. Für einen Augenblick ist nur zu hören, wie das Holz im Feuer knackt und faucht. Dann lacht er und nimmt einen rußigen Kaffeekessel aus den Flammen. Wir setzen uns näher an die lodernden Scheite, noch mit leichter Gänsehaut und fasziniert, wie echt unser "Wolf" Marcus geklungen hat, dieser freundliche Kerl mit den ordentlich unter die Mütze gestopften blonden Haaren. Eher ein lieber Bär als ein Isegrim. "Vielleicht ist der Wald ja nur voller Menschen, die sich gegenseitig anheulen", sagt er und grinst. Marcus leitet seit über zehn Jahren Wildnis-Touren hier in der Region Bergslagen, etwa zwei Fahrstunden westlich von Stockholm. Dabei heftet er sich nicht nur an die Fersen von Wölfen, sondern auch an die von Elchen, Bibern und Bären. Allerdings gibt’s in Bergslagen neben wilden Tieren alles andere, was das Herz eines Schwedenfans begehrt: verträumte Wälder, unzählige Seen, heimelige Bullerbü-Häuschen …

Jetzt im Winter ist die Gegend ein Langlaufparadies. Und auf Natureis lässt es sich kilometerweit Schlittschuh laufen. Wer es etwas gemächlicher mag, unternimmt eine Schneeschuhwanderung oder hackt zum Eis  schen ein Loch in den See. Dass der Landstrich bis Ende des 19. Jahrhunderts Schwedens Bergbauzentrum war, fällt nicht sofort ins Auge. Die Spuren dieser Vergangenheit verbergen sich unter Tage oder haben sich als wildromantische Canyons in die Landschaft integriert. Und sie finden sich in den Namen der Einheimischen, die schon mal holländisch, englisch oder deutsch klingen – Nachfahren ausländischer Facharbeiter. Die meisten der Gruben, die Eisenerz, Silber und andere Metalle förderten, sind heute stillgelegt und in Bergbaumuseen verwandelt. Ohne den Bergbau hier sähe übrigens ganz Schweden anders aus: Aus dem Abraum der ehemaligen Kupfermine im Universitätsstädtchen Falun – heute Unesco-Welterbe – wird noch immer das ochsenblutrote Farbpigment gewonnen, das den hiesigen Holzhäusern seine charakteristische Farbe gibt. Wie die Höfe, zwischen denen wir am nächsten Tag Spuren entdecken, die sich zu einem feinen Muster verbinden. Von dort aus säumen sie in einer akkuraten Spur den Weg und überziehen den Schnee auf den Feldern, an deren Rand sich gerade Elche an Birkenrinde gütlich tun.

Aufgeplustert gegen die Kälte sitzt eine Eule - Marcus bestimmt sie mit Kennermiene als Raufußkauz - auf einem Ast und observiert das Gelände. Ihre gelben Augen scannen Laub und erdige Senken nach Mäusen. Singschwäne treiben dunkle Wasserläufe entlang, deren Ufer von hohem Schnee gesäumt sind. Auch hier: überall Abdrücke. Den schwedischen Sagen nach stammen sie von den 'hustomte', den Hausgeistern. Jeder Hof hat seinen eigenen bärtigen Wichtel, der nachts herumflitzt, die Tiere füttert und auch sonst alles tipptopp in Ordnung hält. Jedenfalls dann, wenn die Bewohner nicht vergessen haben, ihm am Heiligabend eine Schüssel "risgrynsgröt" – Milchreis – hinauszustellen. "Niemand hat ihn je gesehen, aber sie wissen, dass er da ist", schreibt Astrid Lindgren in "Tomte Tummetott" über so einen Wichtel. Jan Nordström hat für die Spuren eine eher nüchterne Erklärung: "Wir haben mehrere Tausend Füchse in Schweden." Jan arbeitet als Guide für Marcus. Er folgt ebenso aufgeregt den Abdrücken eines Auerhahns, wie er auf von Wildschweinen zerwühlte Erde deutet. Doch auch bei ihm sind es die Wölfe, die seine Fantasie beflügeln. "Es gibt vielleicht 400 Tiere in Schweden und vier Wolfsreviere in dieser Gegend", sagt er, während er am Ufer eines zugefrorenen Sees Preiselbeersaft auf einem Lagerfeuer aufwärmt. "Niemand kann mit Sicherheit sagen, wo die Tiere sind. Du kannst ihren Spuren folgen, aber es gibt keine Garantie, dass du sie zu Gesicht bekommst." Dann sucht er mit seinem Fernglas die Eis! äche ab: Hier sind schon Wölfe gesichtet worden. Ob das heute noch was wird, ist fraglich.

Schneeflocken wirbeln vom Himmel herab und werden vom Wind mitgerissen. Der Schnee verschwindet bald im Gestöber, wir ziehen uns in den Wald zurück. Hier ist es trocken und ein Teppich aus Kiefernnadeln und Moos federt weich unter unseren Füßen. Wieder ist da das Gefühl, beobachtet zu werden. Vielleicht eine gütige Elfe, die aus einem hohen Baum späht und uns eine sichere Reise wünscht? Dann finden wir den Elch. In einem Dickicht aus Tannen hat ein Gewirr von Tierspuren die Erde aufgewühlt. Abgerissene Zweige bedecken den Boden. Im Zentrum der Verwüstung liegt der Brustkorb. Fleisch hängt in Fetzen von den Knochen, der Schnee leuchtet rosa. "Wölfe fressen alles - das Fleisch, die Knorpel, die Knochen", erklärt Jan, über den Kadaver gebeugt. "Sie fangen mit dem Fett an, essen dann die Nieren, das Herz und kommen immer wieder, bis der ganze Elch verschwunden ist." Da ist sie zurück, die Gänsehaut. Elfe, von wegen! Ein kleines Stück weiter im Norden erzählt uns ein Bauer, dass ein Wolf in der Nacht seine Pferde von ihrem Heu verscheucht hat. Am Nachmittag stehen sie wieder auf ihrer Weide, als sei nichts geschehen. Aber die krächzenden Raben, die über dem nahen Wald ihre Kreise ziehen, lassen ahnen, dass dort irgendwo das Abendessen eines Raubtiers versteckt liegt.

Text: Amanda Canning, Deutsche Bearbeitung: Christiane Stella Bongertz, Fotos: Jonathan Gregson

Den vollständigen Artikel zur Region Bergslagen finden Sie in der Januar/Februar-Ausgabe des Lonely Planet Traveller.

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Unterwegs

Hinkommen

Ab Frankurt a. M. fliegen Lufthansa (lufthansa.com) und SAS (flysas.com), ab Zürich Edelweiss (flyedelweiss.com) und SAS, ab Wien Austrian (austrian.com) und Niki (flyniki.com) nonstop nach Arlanda. Letztere allerdings nicht täglich. Tipp: Der Trip nach Stockholm hinein ist ein vermeidbarer Umweg. Wer nicht sowieso in die City will, quartiert sich für die erste Nacht besser in Arlanda am Flughafen ein, etwa im ebenso ruhigen wie komfortablen "Radisson Blu" (ab ca. 175 €/DZ, radissonblu.com).

Herumkommen

Die schwedische Region Bergslagen, die im Grenzgebiet der Provinzen Västmanland, Värmland, Närke, Umplant und Dalarna liegt, erkundet man am besten mit dem Auto. Von Arlanda aus ist man in zwei Stunden dort. Am Flughafen findet man zahlreiche Anbieter (z. B. Sixt, ab ca. 50 €/Tag, sixt.de). Wichtig: In Schweden besteht Winterreifenpflicht, deshalb bei der Buchung darauf achten. 

Weiterlesen

Lonely-Planet-Reiseführer "Schweden" (Becky Olsen, 22,99€). Events, weitere Tipps und Hintergrundinfos findet man auf der Webseite des örtlichen Touristenverbandes: vastmanland.se

Übernachten

Pensionat Udden

Die Eheleute Allan und Eva Andersson sind die Gastgeber dieser gemütlichen Pension. Die beiden haben viele tolle Tipps auf Lager. Sieben Doppelzimmer mit Dusche und WC gibt es auf dem wunderschönen Hof am Storsjön-See. Und eine gute Küche! DZ ab ca. 115 €, pensionatudden.se

Kolarbyn Ecolodge

"Schwedens einfachstes Hotel" ist eine Ecolodge ohne Strom und fließendes Wasser. Jede der grasbewachsenen Hütten hat ihren eigenen Kamin. Man schläft auf Schaffellen und wäscht sich im See. Etwas für Hartgesottene, aber schwer romantisch! Ab ca. 45 € p. P., buchbar über kolarbyn.se

Färna Herrgard

Dieser herrlich alte Gutshof schickt seine Gäste auf eine Zeitreise ins 18. Jahrhundert - bei modernem Komfort. Es gibt einen Spa mit Pool und ein sehr gutes Restaurant, in dem regional gekocht wird. Übernachtungspakete ab ca. 180 € p. P./Nacht, inkl. Menü und Frühstück, farnaherrgard.se

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