Auf einem Roadtrip durch den Wilden Westen von Austin bis in den Wüstenort Marfa kommt mächtig Cowboy-Stimmung auf: mit Pferden, so ungezähmt wie die Landschaft, mit Country-Klängen, Barbecue-Romantik – und dem kernigen Duft von Freiheit
Das große Flattern beginnt pünktlich zum Sonnenuntergang. Wie ein gigantischer Schwall Lava aus einem Vulkan schießt die größte städtische Fledermauspopulation Nordamerikas aus ihrem Unterschlupf unter der Congress Avenue Bridge in Austin. Ein Schauspiel, das selbst Einheimische regelmäßig zur Brücke zieht: Von März bis Oktober fliegen hier abends bis zu zwei Millionen Bulldoggfledermäuse durch die Lüfte. Ein schräges Szenario – und damit typisch Austin. Die Metropole ist aufs Anderssein programmiert und darauf ziemlich stolz. Nicht umsonst prangt auf T-Shirts, Stickern oder Plakaten das Mantra der Hauptstädter: „Keep Austin weired“ – „Austin muss eigenartig bleiben“.
Anders als in Texas’ größter Stadt Houston werden hier nicht die schicken Restaurants als Gastronomie-Ikonen gefeiert, sondern Foodtrucks wie der von Leo Mendoza. Wer einmal seine frittierten, fingerdicken Churros probiert hat, die er mit Salbeibutter, einem Klecks Blaubeer-Sauce und Mandelsplittern serviert, würde am liebsten mehrmals täglich vorbeikommen. Das Problem ist nur, dass hier auf so gut wie jedem Supermarkt-Parkplatz kulinarische Höchstleistungen geboten werden, von Gourmet-Fleischbällchen über Edel-Burger bis zum Super-Sandwich findet man alles, was dem Gaumen schmeichelt. „Unsere Foodtrucks“, erzählt Leo, „sind zu Sinnbildern der Stadt geworden. Die Leute in Austin lieben eben alles, was unkonventionell ist.“
Leidenschaft Nummer zwei der rund 885.000 Bewohner ist die Musik. Ob Rock, Folk, Jazz oder Country, ob Hip-Hop, Indie, Blues, Reggae oder Bluegrass: In den Kneipen der „Live Music Capital of the World“ geht’s jeden Abend musikalisch rund. Unter den Lokalen sind so legendäre Joints wie der „Continental Club“ mit seinem herrlichen 50er-Jahre-Ambiente. Am Wochenende kann man zwischen Hunderten von Konzerten wählen. Im Übrigen ist Austin auch Gastgeber zweier renommierter Musik-Events: Das „South by Southwest“-Festival (SXSW) mit Independent-Schwerpunkt findet alljährlich im März statt. Und Ende Oktober treten im Zilker Park mehr als 100 Pop-Acts beim dreitägigen „Austin City Limits Music Festival“ auf.
Elizabeth Alderson, die als Stadtführerin bei „Austin Detours“ arbeitet und Gästen aus aller Welt die hiesige Alternativszene näherbringt, ist stolz auf Austins Hang zum Ungewöhnlichen. „Wir sind anders als der Rest der USA“, ist sie fest überzeugt, „wir sind viel individueller.“ Wohl wahr! Auch beim Besuch der städtischen Kultur-Institutionen wird das deutlich. Etwa im überdimensionierten „Book People“, dem größten Independent- Buchladen der Vereinigten Staaten: Hier finden mehrmals täglich (!) Lesungen zeitgenössischer Autoren von Rang und Namen statt. Oder im schrägen Vintage- und Antiquitäten-Shop „Uncommon Objects“. Dort kann man nach Herzenslust durch ein buntes Sammelsurium aus alten Ouija Boards, Krokodil-Schädeln und Kristallleuchtern stöbern.
Zur gepflegten Subkultur passt auch die Armada von Straßenkünstlern, die die Innenstadt bevölkern, und der wöchentliche Austin Poetry Slam im „Spider House Ballroom“. Der lockt an einem gewöhnlichen Dienstagabend immerhin rund 250 Leute vom heimischen Sofa weg. Ja, der Austiner ist eben anders als andere Städter.
Es mag ein paar Ahnungslose geben, die nach Lockhart kommen, dort das im 19. Jahrhundert aus gelbem Kalkstein erbaute Gerichtsgebäude fotografieren und weiterfahren, weil sie glauben, sie hätten nun alles gesehen, was es hier zu sehen gibt. Das dürften jedoch die wenigsten sein. Alle anderen reisen nämlich ganz gezielt und aus einem einzigen Grund hierher: wegen der kultigen Barbecue-Szene in der Stadt. Lockhart ist ein fleischgewordenes Schlaraffia: An jeder Ecke kann man hier gigantisch leckere Steaks, Rippchen und herrliche Rinderbrustbraten schlemmen.
Die Hauptstadt des texanischen Caldwell County ist nicht umsonst zum offiziellen „Barbecue Capital of Texas“ gekürt worden: Bessere Grill-Lokale als in Lockhart sind auf diesem Planeten nur schwer zu finden. Zumindest ist jeder der etwa 13.000 Einheimischen fest davon überzeugt und zelebriert mit geradezu religiösem Eifer seine Grill-Kunst. Vor rund 100 Jahren wurde die erste Barbecue-Bude der Stadt eröffnet. Die kam anscheinend so gut an, dass unzählige weitere folgten. Heute zieht der Duft von rauchigen Briskets durch alle Straßen, nicht nur durch die Main Street, das Mekka von Smoker-Spezialitäten. Dorthin pilgern Fleisch- Fans schon am Vormittag. Insbesondere bei „Smitty’s Market“ bilden sich täglich lange Schlangen. Unter den geduldig Wartenden steht heute auch ein Farmer in Latzhose. „Ich bin bei Sonnenaufgang in Midland aufgebrochen und in fünf Stunden hierhergefahren“, erzählt er. „Klar, ein weiter Weg, aber er lohnt sich!“ Sagt’s und rollt verzückt mit den Augen.
Im Inneren des Diners offenbart sich dem Besucher ein hitziges Szenario: offene Feuerstellen, glühende Kohlen, Metall-Haken, die sich über lodernden Flammen drehen, und so dichter Rauch, dass selbst das grelle Sonnenlicht, das durch die Fenster dringt, keine Chance hat, den Raum großartig zu erhellen. Dazu schweißgebadete Grillmeister, die tonnenweise dampfendes Rindfleisch durch die Gegend wuchten. Sobald die Braten fertig sind, wird das saftige Fleisch in dicke Scheiben geschnitten, gewogen, auf Packpapier portioniert und der hungrigen Meute über den Tresen gereicht.
Die verzieht sich mit Braten, Rippchen und hausgemachten Würsten ausgerüstet in den Speisesaal. Während sich die Gäste dort mit Inbrunst ihrem Essen hingeben, trieft ihnen das Fett ordentlich von den Fingern, denn Besteck ist bei „Smitty’s“ ein No-Go. Und nicht nur dort. Auch gegenüber, im „Kreuz Market Barbecue“, gilt nach alter Lockhart-Tradition striktes Gabel-Verbot. Das macht aber gar nichts, denn zum Fleisch – oberstes Gebot! – wird eh keine Sauce gereicht. Wie heißt es auf einem Schild am Eingang so schön? „Keine Saucen (wir haben nichts zu verstecken), keine Gabeln (sie befinden sich am Armende), kein Scherz (schaut euch nur das Gesicht unseres Chefs an)“.
„Sein besonderes Aroma verdankt unser Fleisch dem Holz, über dem wir es grillen“, verrät Kent Black, der „Black’s Barbecue“ an der North Main Street betreibt. „Pfahleiche. Über ihr kann das Grillgut stundenlang garen, ohne bitter zu werden. Das gilt übrigens auch für Würstchen.“ Sagt’s und reicht ein paar Scheibchen der Hausspezialität herüber: fantastische Rindswürste mit scharfen Jalapenos und Cheddar-Käse. Ein Gaumenschmaus, zumindest für jeden Nicht-Vegetarier.
Bleibt nur noch die alles entscheidende Frage: Wer bitte ist denn nun der stadtbeste Grillmeister? Ken schmunzelt vielsagend: „Ganz einfach, es gibt 25 Millionen Texaner. 25 Millionen von ihnen sind Barbecue-Experten. Und jeder von ihnen hätte ein Recht auf diesen Titel.“
Text: Christa Larwood, Deutsche Bearbeitung: Elena Rudolph, Fotos: Kris Davidson
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