Genieße das Straßenleben von Palermo, mit Märkten und Imbissständen bis hin zu spontanen Partys am späten Abend.
Erst wenn die letzten Sonnenstrahlen hinter den Häusern verschwunden sind, erwacht das historische Zentrum der sizilianischen Hauptstadt zum Leben. Familien gabeln ihre knusprigen, mit Sahne gefüllten Cannoli. Vespas flitzen an Pferdewagen vorbei. Alte Männer spielen Domino und die Restaurants auf der Piazza füllen sich mit Büroangestellten. Über alledem wachen Tauben, die auf den Kuppeln der Kathedrale von Palermo und der Kirche Santa Caterina aufgereiht sitzen. Die prunkvolle Barockgestaltung der Gotteshäuser zog einst den Neid von ganz Italien auf sich.
Es sind Straßenszenen wie diese, die Palermo so faszinierend machen. Zwischen Bronzestatuen und Springbrunnen mit nackten Nymphen und Meerjungfrauen gibt es an jeder Ecke etwas zu sehen. Auf dem Il-Capo-Markt suchen Käufer an Ständen mit riesigen Auberginen, Tomaten, Artischocken und Melonen nach Zutaten für ihren traditionellen Eintopf. Vor dem Teatro Massimo, dem größten Opernhaus Italiens, laben sich Studenten an Panelle (Brötchem mit frittierten Kichererbsenschnitten), während Familien ihre tägliche Passeggiata – Flanieren auf Italienisch – genießen, die Finger klebrig vom Gelato.
Vor nicht allzu langer Zeit stand Palermo nicht für Eiscreme und Cannoli, sondern für Kriminalität und Korruption. Polizei und Staatsanwaltschaft konnte man nicht trauen und Mordanschläge erschütterten die Nation. Die Mafia, oder Cosa Nostra, ist in der Stadt noch immer gegenwärtig, doch eine politische Bewegung, die von Tausenden von Unternehmern unterstützt wird, hat die Straßen mittlerweile zurückerobert. Die Bezahlung von Pizzo, oder Schutzgeld, ist jetzt tabu, und auch wenn es noch immer Widerstandsnester gibt, blühen ehemalige No-Go-Zonen derzeit auf.
Das Gesicht dieser Initiative ist Addiopizzo, ein Kollektiv von Hochschulabsolventen, die dem Treiben nicht länger zusehen wollten. „Am Anfang waren wir nur ein paar junge Leute, die das Problem aktiv angingen“, sagt Mitbegründer Ermaes Riccobono, der eine Anti-Mafia-Tour durch die Stadt leitet. „Aber nun verliert die Mafia an Macht und die Leute stehen auf unserer Seite.“
Diese Trendwende kann man auch an der Straßenmode festmachen. In der Boutique „La Coppola Storta“ nutzt etwa die Designerin Tindara Agnello die traditionelle Kappe aus Wolle als Symbol für die moderne Stadt.
„Durch Hollywood werden die Kappen mit ,Der Pate‘ assoziiert, aber wir erzählen eine andere Geschichte“, sagt sie, und zeigt auf eine ihrer Kreationen: eine lose sitzende Mütze mit Paisleymuster, die einem Model bestimmt besser steht als einem Bauern. „Das ist die neue sizilianische Tracht.“
Ein Stück weiter, in der Via Maccerronai, herrscht eine ähnlich ausgelassene Stimmung. In der „Taverna Azzurra“, einer Bar mit der glamourösen Ausstrahlung eines alten Martini-Werbeplakats, wird getrunken und getanzt. Dicht gedrängt stehen davor junge Leute auf der Straße. Ein warmer Lichtschein fällt auf das Kopfsteinpflaster, die Laternen gehen an, und die Menge singt fröhlich zu Popklassikern – von Queen über David Bowie bis Wham. „Macht mit!“ ruft einer der Nachtschwärmer. „Und holt euch was zu trinken!“
Bald erscheinen die ersten Sterne, eine kühle Brise weht vom Meer herein und die Musik wie Menschen verlagern sich nach drinnen. Für zu Hause ist es noch zu früh und der Wein will getrunken werden. Wie ein sizilianisches Sprichwort besagt: „Dunkler als Mitternacht wird es nicht.“ Und Palermo will heute bis zum Morgengrauen feiern.
Text: Mike MacEacheran, Fotos: Jonathan Stokes
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