Die faszinierende grüne Insel ist voll märchenhafter Landschaften. Der Zauber, der ihnen innewohnt, hat seinen Ursprung in der Jahrtausende alten Mythologie.
In vielerlei Hinsicht ist es ein Wunder, dass wir heute noch etwas über Irlands unglaubliche und komplexe Mythologie wissen. Die Geschichten, Sagen und Legenden wurden zunächst über Hunderte von Jahren ausschließlich mündlich weiterverbreitet. Mittelalterliche Mönche, die sie später niederschrieben, veränderten oft die Geschichten. Sie degradierten die sagenumwobenen Götter zu bloßen Sterblichen und fügten nicht selten christliche Symbole und Glaubenssätze in die Aufzeichnungen ein.
Ironischerweise wären jedoch diese heidnischen Legenden ohne die Mönche in ihrer Gesamtheit längst verloren gegangen - nach Jahrhunderten des Christentums, der Eroberung und Kolonialisierung. Die irische Mythologie ist so komplex wie magisch, außerordentlich inspirierend und zugleich unterhaltsam. Die sagenumwobenen Kultstätten und zahlreichen Ruinen sind noch heute Orte von starker Strahlkraft. Wir haben eine Auswahl der mystischen Landschaften des legendären Irland zusammengestellt und bewegen uns auf den Pfaden ihrer Helden.
Die Geschichte von Irlands ersten, mythischen Bewohnern wurde im 11. Jahrhundert im "Lebor Gabála Érenn", dem "Buch der Invasionen", aufgezeichnet. Darin mischen sich biblische Erzählungen und Überlieferungen heidnischer Mythologie mit damals bekannten Weltchroniken anhand von Gedichten und Fragmenten. Die Geschichten reichen weit zurück bis zu den ersten Siedlern. Das Buch beginnt die Abfolge der Landnahmen und Eroberungen der Insel mit den Cessair und Partholon. Danach kamen die Nemed und die Firbolg, die Túatha Dé Danann und schließlich die Milesier, die als die eigentlichen Vorfahren der irischen Gälen genannt werden. Bis ins späte 17. Jahrhundert hinein wurde das Lebor Gabála Érenn als historische Realität angesehen, später jedoch zunehmend als Geschichtsklitterung eingestuft. Spannend bleibt es trotzdem.
Unter den interessanten Eroberern Irlands waren die Nemed, die der Legende nach weiter nach Norden zogen und übernatürliche Fähigkeiten erwarben. Sie kehrten mit einem neuen Namen nach Irland zurück - als Tuatha Dé Danann ("Volk der Göttin Danu"), kämpften gegen die Fir Bolg und gewannen das Recht, das Land zu regieren.
Mit magischen Kräften beherrschten die Tuatha das Meer, aber auch die Handwerkskunst und die Heilung. Sie galten als Vertreter der Göttinnen des Krieges, der Fruchtbarkeit und der Jahreszeiten. Der älteste und weiseste unter ihnen war Dagda, der von den Tuatha als Vaterfigur angesehen wurde - oft buchstäblich, da er wohl zahllose Nachkommen zeugte. Außerdem besaß er die Weisheit eines Druiden. Seine Stärke wurde bewundert und sein magischer Stab gefürchtet. Mit ihm konnte der mythische Held sowohl Menschen töten als auch heilen oder Tote wiederbeleben. Außerdem soll er einen Kessel besessen haben, der sich niemals leerte. 80 Jahre lang regierte Dagda von Brú na Bóinne aus, bevor er im Kampf vergiftet wurde. Wer diesen zu den wichtigsten prähistorischen Stätten Europas zählenden Ort besucht, wird von seiner Magie überwältigt.
An der Seite von Dagda stand Morrígan, Göttin des Krieges und des Schicksals. Der Überlieferung nach wirkte sie am Tod von Cúchulainn mit, von dem später noch die Rede sein wird. Über den blutigen Schlachtfeldern soll sie sich in eine Krähe verwandelt, die Krieger ermutigt und zum Kampf inspiriert haben. Wer Abenteuer liebt und sich dabei ein bisschen gruseln möchte, besucht die Höhle Oweynagat in Rathcroghan im County Roscommon. "Irlands Tor zur Hölle" gilt als Eingang zur Anderswelt. Zur Zeit des keltischen Festes Samhain, einem Vorläufer von Halloween, erscheint Morrígan, um gemeinsam mit schaurigen Bestien das Land zu verwüsten und den Winter zu bringen. Für Hartgesottene veranstaltet das Besucherzentrum gerade zu Halloween eine besonders gruselige Tour.
Auf die Tuatha gehen Irlands berühmteste Persönlichkeiten der keltischen Mythologie zurück. Zu ihnen zählt Cúchulainn. Der gefürchtet-gefeierte Held war Gefolgsmann von Conchobar mac Nessa, dem sagenhaften König von Ulster, der um Christi Geburt regierte. Im Alter von nur 17 Jahren soll Cúchulainn der Sage nach ganz allein Emain Macha, den traditionellen Königssitz von Ulster, verteidigt haben. Archäologen halten Navan Fort im County Armagh in Nordirland für Emain Macha, die sagenumwobene Hauptstadt der Ulter, wie sie in den alt- und mittelirischen Sagen des Ulster-Zyklus überlieferten wurde. Der Ort wurde demnach im Jahre 332 nach Christus zerstört. Die neolithischen, bronze- und eisenzeitlichen Funde legen noch heute beredtes Zeugnis dieser wichtigen Kultstätte ab. Die Beschreibung der Burg in den nordirischen Sagen deckt sich in großen Teilen mit den archäologischen Funden.
Im Navan Centre, dem Freiluftmuseum in Armagh, wird heute die Geschichte der Kelten anschaulich nacherzählt. Besucher können eine Zeitreise unternehmen und in die Gewänder, Sitten und Gebräuche zu Cúchulainns Zeit schlüpfen.
Nach vielen epischen Schlachten wurde Cúchulainn schließlich von einem Speer getötet. Der Sage nach stand er, tödlich verwundet, dem feindlichen Heer gegenüber. Sterbend band er sich an einen Menhir. Solange der Held aufrecht stand, wagte sich das feindliche Heer keinen Schritt näher heran. Obwohl er verblutete und starb, sahen ihn die Feinde noch immer wacker stehen.
Sie erkannten erst, dass er tot war, als ein Rabe auf seiner Schulter landete und begann, an ihm zu picken. Der Legende nach ist es der imposante Menhir Clochafarmore in der Nähe von Dundalk, an dem Cúchulainn seinen Feinden noch im Tode trotzte. Der riesige Stein steht auf einem Feld und archäologische Funde beweisen, dass dies einst ein Schlachtfeld war. Der sterbende Cúchulainn ist auch in Oliver Sheppards prächtiger Bronzestatue am Eingang von Dublins Hauptpostamt verewigt.
Die Tuatha Dé Danann regierten Irland für lange Zeit als Hochkönige. Sie wurden schließlich nach der Überlieferung des Buches der Invasionen von den Milesians, Kriegern aus Iberia, besiegt. Die beiden Kampfgegner einigten sich jedoch darauf, Irland gemeinsam zu regieren: Die Milesians sollten über das Land herrschen, während die Tuatha die Anderswelt der in Erdhügeln versteckten Paläste regieren sollten. Die Tuatha zogen sich daraufhin in die Hügel zurück, die in der irischen Sprache Sidhe hießen. Ihre Kräfte wurden schwächer und mit der Zeit wurden sie nach ihrem neuen Zuhause als Sidhe bezeichnet, als "gutes Volk" oder einfach "Feen".
Die Sidhe waren großgewachsene, gutaussehende Menschen mit eigener Sprache, eigenen Handwerkstraditionen und Kampftechniken. Sie ähnelten wohl eher Tolkiens Elfen als den kleinen, geflügelten Feen, die wir aus den Märchen kennen. Ihr anmutiges Aussehen und ihre artikulierte Art zu sprechen brachten ihnen den Spitznamen "the Gentry" im Westen Irlands ein. Anderenorts wurden sie gefürchtet und beschuldigt, Kinder in die Anderswelt zu verschleppen. Der "Feenglaube" war sogar noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts weit verbreitet. Vor allem in ländlichen Gebieten war er mindestens ebenso stark wie der Katholizismus. Auch Irlands Literatur-Nobelpreisträger William Butler Yeats und Samuel Beckett glaubten an die Sidhe und beschrieben den Wald um Benbulben als einen ihrer Hauptwohnsitze.
Auch wenn die Sidhe heutzutage fast vergessen sind, zumindest die Erdhügel, die sie bewohnten - in Wirklichkeit höchstwahrscheinlich uralte Gräber - sind noch auf der ganzen Insel zu sehen. Es gibt zudem mehr als 40.000 "Feenforts" - von denen wir heute wissen, dass sie die Überreste von kreisförmigen Wohnhäusern aus der Eisenzeit sind. Die Legende besagt, dass Unglück oder sogar Tod jeden treffen wird, der eines von ihnen zerstört - ein Grund dafür, dass so viele im Laufe der Jahrhunderte unberührt blieben. Das beeindruckendste Beispiel ist wahrscheinlich Dun Aengus in Inishmore. Dort liegt eine beeindruckende Ansammlung von Feenhügeln. Der Blick auf den Atlantik von der 100 Meter schwindelerregend hoch über dem Meer gelegenen Klippe ist atemberaubend.
Die moderne Variante der Feenfolklore sieht in Irland inzwischen eher aus wie im Rest der Welt: kleine, hauchzarte, freundliche Feen werden verehrt, die an zauberhaften Orten in der Natur zu finden sind. Das mag zwar nicht unbedingt mit der traditionellen, keltischen Darstellung übereinstimmen. Die kleine Statur bringt jedoch auch einige Vorteile mit sich: diese Feen sind kindgerechter. Überall im Land verstreut gibt es konzipierte Märchenwege, vor allem im Malahide Castle und im wunderschönen Erica-Fairy Forest in Cavan. Aber nicht nur Kinder, auch Erwachsene lassen sich von der Magie der alten Mythen und den sagenhaften Kraftorten Irlands verzaubern.
Die ganze Schönheit der grünen Inseln zeigt unser Reiseführer "Lonely Planet Irland".
Schau ihn dir doch hier einmal an.
Deutsche Fassung: Ines Wagner
Original-Artikel: AnneMarie McCarthy