Dank einer jahrhundertelangen Mischung verschiedener Kulturen ist Kubas Hauptstadt rund um die Uhr eine Jamsession von atemberaubender Vielfalt. Egal ob Rumba, Jazz, Son Cubano oder Metal – hier erklingt einfach alles.
Auch wenn Kuba in den letzten 50 Jahren an Knappheit und Entbehrungen zu leiden hatte, sind die schönen Künste – insbesondere die Musik – wahrlich aufgeblüht und durch die Unterstützung der Regierung, vielen Talenten und einer bemerkenswerten Kultur beflügelt worden. In Havanna, einer Stadt mit verblasster Pracht und lebhaften Straßen, sieht man das besonders deutlich.
Die kubanische Kapitale ist wie ein einziges großes Konzert mit spanischen, afrikanischen, französischen, nordamerikanischen und indigenen Einflüssen, die sich zu einem wunderbaren Ganzen verbinden. Die Stadt brodelt in einem Strudel von Klängen, die aus allen Ecken und Enden swingen, tanzen und rocken. Es gibt den Jazz-Posaunisten, der auf der Strandmauer steht und seine Tonleiter übt, Rumba-Trommler, die den ganzen Tag lang in ein Santería-Ritual vertieft sind, den Troubadour, der die Touristen mit Liedern über Che Guevara verführt, den betagten Schnulzensänger, der ein gefühlvolles „Bésame Mucho“ erschallen lässt, und auch Thrash-Metals, die auf Spanisch etwas über Revolution kreischen. Die Musik hört nie auf. Und was noch besser ist: Sie ist fast immer live. In Havanna sind Gitarren so alltäglich wie Handys, während das Singen und Tanzen so selbstverständlich ist wie das Gehen und Atmen.
Die beliebten Exporte von Son Cubano und Mambo sind nur eine Aufwärmnummer. Bei einem Spaziergang durch die Stadt kann man den Weg von Beny Moré zum Hip-Hop über Jazz, Charanga, Rumba, Salsa, Timba und Cha-Cha-Cha genauestens nachzeichnen. Atmetief ein und wage den Sprung in die Szene.
1 El Guajirito
Mitte der 90er Jahre ließ der amerikanische Slide-Gitarrist Ry Cooder eine Gruppe halb vergessener kubanischer Musiker wieder auferstehen und brachte sie mit einem außergewöhnlichen Kollektiv namens „Buena Vista Social Club“ zusammen. Die Band nahm eine selbst betitelte Platte auf, spielte eine ausverkaufte Tournee und gewann einen Grammy. Viele von ihnen waren damals so alt, dass sie inzwischen verstorben sind, aber der Geist des Salsa lebt im „El Guajirito“ auch heute noch weiter. Als gemütliches Restaurant und Treffpunkt für Live-Musik im Stadtteil Centro Habana ist dieses von außen verwahrloste Gebäude bei den Touristen sehr beliebt. Aber wenn das Geplapper erst einmal verstummt ist, fällt es äußerst schwer, sich nicht von der Energie der 90-minütigen Sets der altgedienten Sänger und Musiker verführen zu lassen.
facebook.com/ElGuajiritoRestaurante
2 Calle Obispo
Tagsüber ist die Calle Obispo die Haupteinkaufsstraße der herrlich vermodernden Altstadt Habana Vieja, doch nachts spielt sich hier ein wunderschönes Getöse mit Gitarren, Flöten, Bongos und Trompeten ab, das einem selbst mit geschlossenen Augen versichert, nirgendwo anders als in Kuba zu sein. Einige Musiker spielen für die Liebe, andere zücken den Hut für Geld. In den lauteren Bars steht die Band so dicht gedrängt, dass der Bassist beinahe den Gitarristen küsst, während die Band in „La Dichosa“ oft größer ist als das Publikum. Im Hotel „Ambos Mundos“ klimpert immer ein Pianist, im „Café Paris“ fordern die Touristen zum lebhaften Tanz auf und wenn man Glück hat, läuft man vielleicht sogar einem Star über die Füße. Letztens sang zum Beispiel die Trova-Legende Silvio Rodríguez live auf dem Plaza del Cristo – und das kostenlos. Das ist Obispo: Musik des Volkes – durch das Volk, für das Volk.
3 Callejón de Hamel
Dieses gemeinschaftliche Kunstprojekt in Centro Habana ist eine lebendige Manifestation der afrokubanischen Seele – eine mit Farbe bespritzte Hintergasse voller seltsamer Wandmalereien, Santería-Schreinen und dem rhythmischen Beat von Rumba. Rumba ist einer der Grundsteine der kubanischen Musik, eine Mischung aus athletischem Tanz und rituellem Trommeln, die eng mit den synkretistischen Kulten von afrikanischem Ursprung verbunden ist. Teilweise wird er auch als Nationalsport bezeichnet und ist vor allem in Callejón de Hamel zu hören. Die Live-Session von Rumba mit seinen ineinandergreifenden Rhythmen und Yoruba-Gesängen beginnt jeden Sonntag gegen Mittag auf der Straße und schließt so ziemlich alle umliegenden Geschäfte mit ein. Hier muss man einfach nur der Masse folgen.
Hamel, zwischen Aramburu und Hospital.
4 Fábrica de Arte Cubano
Wer glaubt, dass Kuba schon bald seine Seele an den US-Konsum verkaufen würde, sollte diese Kunstfabrik in Vedado besuchen, wo der kulturelle Austausch eine Brutstätte für Kreativität und Ideen ist. Die „Fábrica de Arte Cubano“ wurde 2014 von dem kubanischen Fusion-Musiker X-Alfonso gegründet und befindet sich in einer alten Olivenölfabrik, die an vier Abenden in der Woche für ein volles Programm mit elektrisierenden Geschehnissen geöffnet ist. In der Fabrik selbst kann man nach Belieben zwischen verschiedenen interaktiven Räumen umherwandern, wie man möchte. Dabei kann der Zufall ein paar Tangoschritte zum Mitmachen herbeizaubern oder aber man wird mit einem pulsierenden DJ-Set, einer Avantgarde-Kunstausstellung, einer A-capella-Gesangsgruppe, einem Film über Kubas musikalisches Erbe oder einem Late-Night-Jazz-Jam überrascht. Es gibt Bars, Terrassen, wunderschöne Interieur-Elemente und sogar einen Mini-Imbissmarkt. Das macht die ganze Sache mehr als aufregend.
Text: Kerry Christiani
findest du in der Februar/März-Ausgabe 2021 des Lonely Planet Magazins. Außerdem im Heft: Inselleben: Auf der Suche nach dem Paradies, Polarnacht in Schweden, Winter in den Bergen Polens und vieles mehr.
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