El Paso bietet die prickelnde Atmosphäre einer Grenzstadt im Süden der USA mit allen ihren kulturellen Ausprägungen und ihrer Geschichte. Ein Besuch und die besten Tipps.
El Paso ist die westlichste Stadt in Texas und zugleich Heimat mehrerer Legenden: Schon Billy the Kid und Wyatt Earp schlenderten die El Paso Street hinunter und ihre Geister sollen noch immer auf Friedhöfen und in den Hotels herumspuken.
Mit mehr als 300 Tagen Sonnenschein pro Jahr wird El Paso auch Sun City genannt, vor allem aber ist es eine Grenzstadt. Einst Teil des spanisch-mexikanisch kontrollierten New Mexico, kam es erst 1848 zum amerikanischen Territorium hinzu. Vor fast 400 Jahren wurde El Paso del Norte ("der Nordpass") von den Spaniern besiedelt und das Grenzleben und die multikulturelle Demografie haben die Stadt und ihre vielfältigen Bewohnergruppen bis heute nachhaltig geprägt. Wir zeigen, wo sich El Paso in seinen spannenden Gegensätzen am besten erschließen lässt.
Texaner, Mexikaner, Tejanos, indigene Bewohner und Amerikaner - sie alle haben diesen Ort geprägt und zu ihrer Heimat gemacht. Heute setzen El Paso und die angrenzende Partnerstadt Juarez diese Symbiose aus Völkern, Sprachen, Architektur, Kunst, Kultur und Küche aufs Lebendigste fort.
Kaum angekommen, stößt man sofort auf ein Tex-Mex-Paradoxon, das sowohl die Stadt als auch die Menschen zu definieren scheint: "Bin ich in Texas oder Mexiko?" Um genau zu sein: Die feinen kulturellen Unterschiede verschwimmen weitestgehend - und gerade das macht den besonderen Reiz aus.
Es ist der Mix aus Cowboystiefeln und Maistortillas, das Spannungsfeld zwischen Grenzmauern und grenzüberschreitenden Gemeinden und ein Unikum - eine der sichersten Städte des Landes, die sich praktisch die Innenstadt mit einer der gefährlichsten Städte der Welt teilt: Willkommen in El Paso.
El Paso wurde erst in der jüngsten Vergangenheit grundlegend saniert, hat eine Straßenbahnlinie, ein Baseballstadion in der Innenstadt und ein modernes Kongresszentrum bekommen. Dennoch wurde glücklicherweise eine Großteil des charmanten kulturellen Erbes und die Kleinstadt-Atmosphäre bewahrt. Eine Erkundung des Zentrums zu Fuß lohnt sich. Am besten lässt es sich mit einem leckeren Kaffee, Matcha, Charcoal Frappe oder dergleichen "to Go" in der Hand starten - wahlweise aus der Coffee Box - einem der angesagten Cafés, das in gestapelten Containern untergebracht ist - oder dem beliebten District Coffee in der Texas Avenue.
In der Nähe befinden sich das historische Plaza Theatre und das El Paso Museum of Art. Beim Erkunden der Stadt lässt sich allerhand interessante Street Art entdecken, die einer aufstrebenden und ökologisch-sozial bewussten Kulturszene entstammt. Ein guter Ausgangspunkt ist die San Jacinto Plaza, um einen Häuserblock nach Osten in Richtung Stanton oder einen Häuserblock nach Westen zum Museum hin zu erkunden. Dort befinden sich zahlreiche beeindruckende Graffitis und Wandgemälde, welche sehr aufmerksam und auch ironisch die Realitäten des täglichen Lebens rund um die Grenze wiedergeben.
Das Gardner aus dem Jahr 1922 ist das älteste Hotel der Stadt. Es verströmt das Flair einer längst vergangenen Epoche. Der berühmte Outlaw John Dillinger hat hier gewohnt und einige der Zimmer werden als "Spukzimmer" vermarktet - El Paso liebt seine Geistergeschichten. Neben anderen gekonnt inszenierten nostalgischen Interieur-Elementen schmücken eine altmodische Telefonzelle und eine antike Telefonzentrale die Lobby. Mit relativ einfachen Zimmern und bequemen Schlafsälen ist das Gardner eine gute, preisgünstige Unterkunft mitten im Stadtzentrum.
Um die Ecke in der Franklin Avenue und Stanton gibt es eine Reihe LGBT-freundliche Bars, in denen Technomusik läuft, während junge Einheimische das quicklebendige Nachtleben der Stadt genießen. Nur ein paar Schritte entfernt befindet sich das Herz der Innenstadt, mit zahlreichen Banken und Büros sowie der hübsche Park San Jacinto Plaza, in dem zahlreiche Open Air-Veranstaltungen stattfinden und der ein beliebter Treffpunkt der Einwohner ist.
Genau wie im benachbarten mexikanischen Bundesstaat wird auch das Baseball-Team von El Paso, das im noblen Stadion in der Innenstadt spielt, Chihuahua genannt. El Paso ist eine pulsierende, aufstrebende Stadt, die zugleich ein sicheres Gespür für ihre Geschichte und ihr multikulturelles Erbe besitzt - und das macht sie so charmant.
Ein paar Minuten nördlich der Innenstadt befindet sich das L & J Cafe, eines der typischen und zugleich beliebtesten Grenzrestaurants. Das langjährige In-Lokal ist teils ein Familienrestaurant, teils ein Treffpunkt der Einheimischen - daher bietet es einen guten Vorgeschmack auf die mexikanisch-amerikanische Gemeinschaft der Stadt. Mit einer umfangreichen Auswahl an mexikanischen Gerichten und einer großen zentralen Bar ist das L & J oft voller Stammgäste, die die behagliche und zugleich lebhafte Atmosphäre schätzen. Wenn es eine Warteschlange gibt, was durchaus vorkommt, lässt sich die Zeit gut an der Bar verbringen. Unser Tipp ist die großartige Michelada, ein mexikanisches Biermischgetränk. Dazu schmecken die leckeren House-Chips und Salsa.
Ein Geheimtipp ist das Bohemian Cafe von Joe Vinny & Bronson in den nahe gelegenen Five Points. Dieses kleine Café-Restaurant ist bei den Einheimischen beliebt, besonders für den großartigen Kaffee und die leckere Speisekarte, einschließlich guter vegetarischer Gerichte. Es ist perfekt für die Arbeit am Laptop tagsüber oder für kühle Drinks am Abend. Die Betreiber bieten alles, vom lokalen Craft Beer bis zum Cafe Bon-Bon (lateinamerikanischer Espresso mit süßer Kondensmilch) und haben ein hippes und einladendes Ambiente geschaffen. In der Five Points-Gegend gibt es noch zahlreiche andere Ausgehmöglichkeiten, wie beispielsweise die Living Room Lounge für edle Cocktails oder das Love Buzz mit cooler Live-Musik unterschiedlicher Stilrichtungen.
El Paso ist mit der UTEP (Universität von Texas in El Paso) auch eine Universitätsstadt, die dem Nachtleben der Stadt Tausende von partywilligen Studenten hinzufügt. Besonders lohnt ein Besuch der Cincinnati Street. Dort ballen sich eine Auswahl an günstigen Bierpubs und Clubs, in denen man zu aktuellen Dance Chart-Hits tanzen kann. Um eine schicke Late-Night-Party zu erleben, ist das Late Late genau das Richtige. Wer es eher Low Budget und etwas handfester mag, sollte sich das The Tap nicht entgehen lassen, eine klassische Kneipe in El Paso, oder die Deadbeach Brauerei, in der vor Ort gebrautes Bier ausgeschenkt wird.
Der Rio Grande war schon immer eine natürliche Trennlinie, heute markiert er die Grenze. Er beginnt an den Ausläufern der Rocky Mountains und fließt von Colorado zum Golf von Mexiko, wobei er die Innenstädte von El Paso und Juarez durchquert. Ganz abgesehen von der Politik würde ein Gespräch über El Paso, ohne über die Grenze zu reden, ein unvollständiges Bild ergeben. Die Grenze bestimmt das Leben beider Städte.
Nur ein paar Häuserblocks südlich der San Jacinto Plaza weiter in Richtung El Paso Street lässt sich bereits eine Veränderung wahrnehmen. Die Musik aus den Läden ist anders, das frische Obst, das an den Straßenecken verkauft wird, die Farben, Geräusche und Gerüche - noch ein paar Minuten weitergehen und plötzlich ist es da: Mexiko.
Die Einreise nach Juarez ist heute überraschend einfach und wird täglich von Tausenden genutzt. Das einzige Risiko besteht in Warteschlangen. Die Grenze lässt sich auch bequem zu Fuß über den Rio Grande überschreiten. Alles, was man braucht, um nach Mexiko zu gelangen, ist eine Gebühr von 0,50 USD. In Juarez angekommen, geht die El Paso Street direkt in die Avenue Benito Juarez über. An dieser mexikanischen Hauptstraße befinden sich unzählige Souvenirläden und Stände mit Streetfood sowie der berühmte Kentucky Club & Grill, eines der Wahrzeichen der Stadt. Es gibt ihn bereits seit den 1920er Jahren. Ein paar Häuserblocks weiter beginnt die Fußgängerzone Calle 16 de Septiembre, auf der am Wochenende zahlreiche Familien flanieren, ältere Paare zu Live-Musik tanzen und viele traditionelle Imbissstände mit ihren leckeren Spezialitäten zum Verweilen einladen.
Auf den Uneingeweihten kann Juarez im ersten Augenblick etwas einschüchternd wirken. Die schlimmsten Jahre der Gewalt gehören allerdings der Vergangenheit an. Trotzdem ist immer noch etwas Vorsicht geboten. Die touristischen Angebote sind begrenzt, aber die mexikanische Industriestadt erholt sich von jahrelangen Unruhen und tut ihr Bestes, um voranzukommen und sich auch dem Tourismus zu öffnen.
Der Rückweg nach El Paso ist ebenfalls relativ einfach. Nach dem Zahlen einer weiteren kleinen Gebühr auf mexikanischer Seite geht es auf der Brücke über den Rio Grande zurück. Vorsicht: Wer seinen Reisepass vergessen oder verloren hat kommt nicht durch, da ist der US-Zoll bei der Wiedereinreise gründlich.
Zurück auf der US-Seite lohnt sich ein Stopp im H & H Car Wash and Coffee Shop. Diese Kleinstadt-Tankstelle mit amerikanischem Restaurant und mexikanischem Tante-Emma-Laden ist bereits seit mehr als 70 Jahren in Familienbesitz. Inhaber Maynard Haddad ist eine lokale Legende syrischer Abstammung, der so texanisch ist, wie es nur geht. Bewohner aller Stadtviertel kommen extra zu ihm, um Speck und Eier mit einer Beilage aus Carnitas und Frijoles zu essen. Meistens findet man Mr. Haddad draußen sitzend vor, wo er Hof hält und über lokale Dinge spricht, wie es die Einheimischen tun. Manchmal sprechen sie über die Grenze und manchmal nicht. Jeder mischt Spanisch und Englisch, ohne sich darum zu kümmern.
Die USA bieten noch so viele wunderschöne Landschaften und erstaunliche Städte. Mehr findest Du in unserem Reiseführer.
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"Under the Radar USA" ist eine Reihe von Berichten über weniger bekannte Reiseziele in den USA.
Original-Artikel: Jason Najum/Lonely Planet international
Deutsche Fassung: Ines Wagner