„Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah?“ Schon Herr Goethe wusste, wie wir ticken. Exotische Reiseziele faszinieren oft mehr als die Heimat. Doch das Urlaubsfeeling hat weniger mit der Entfernung zu tun als vielmehr mit einer guten Mischung aus Entdeckungen, Entspannung und Erlebnissen. Auf der Bucket-List von Reisebloggerin Christine Neder steht jedes Jahr ein Wochenendtrip in Berlin – ihrem Wohnort.
Seit 2011 lebe ich nun in Berlin. Doch wenn mich jemand nach den Must-sees fragt, muss ich passen. Meine Schwester, die mich nur einmal im Jahr besucht, kennt neunmal mehr Museen, hippe Restaurants und Hotspots als ich. Eigentlich schade, dass die eigene Stadt bei der Reiseplanung gar nicht erst zur Wahl steht. Für mich ist Berlin der Ort, an dem ich arbeite, meine Freunde treffe und vielleicht mal am Wochenende einen Ausflug ins Umland mache. Aber Sightseeing? Sich wie ein Tourist zwischen Alt-Hohenschönhausen und Zehlendorf bewegen? Lange kam mir dieser Gedanke so schräg vor wie der Turm von Pisa.
Es brauchte erst einen Wasserschaden, um meine Wahlheimat besser kennenzulernen. Vor zwei Jahren passierte das Malheur, das sich im Nachhinein als Glücksfall herausstellte: Ich musste für einige Tage aus meiner Wohnung raus und ein Hotel nehmen. Trotz allerlei Stress mit den Handwerkern habe ich mich bereits am zweiten Tag wie im Urlaub gefühlt. Auf den Streifzügen mit meinem Hund Boris stieß ich auf neue Läden, Locations und Parkanlagen. Ein ganzes Viertel habe ich auf diese Weise entdeckt.
Obwohl ich nur acht Kilometer von meinem eigentlichen Kiez entfernt war, fühlte sich das Ganze an wie ein Kurztrip: aufwachen in einem Hotelzimmer mit schneeweißer, gestärkter Bettwäsche, lange frühstücken mit Buffet und allerhand Köstlichkeiten, sich dann treiben lassen durch unbekannte Gassen mit charmanten Hinterhöfen, originelle Geschäfte aufstöbern und zwischendurch immer wieder in Cafés einkehren und Leute beobachten.
Kurz gesagt – wenn ich es mir richtig gut gehen lasse und Zeit habe, fühle ich mich wie im Urlaub. Dafür muss man weder in den Flieger steigen noch hunderte Kilometer mit dem Auto zurücklegen. Die kleine Auszeit vom Alltag wartet sozusagen vor der Haustür. Schöner Nebeneffekt: Durch die besonderen Erlebnisse jenseits des täglichen Trotts sieht man seine Stadt plötzlich mit ganz anderen Augen. Wie frisch verliebt.
Und: Urlaub zu Hause ist eine sehr klimafreundliche Art zu reisen. Immer mehr Städte bieten „Gast in der eigenen Stadt“-Aktionen an, um den Einheimischen ihre Heimat näherzubringen. So konnten die Bremer letztes Jahr für zehn Euro pro Person und Hotelstern in der Hansestadt nächtigen. In Fürth gab es zum Angebot noch eine Stadtführung und freien Eintritt in vier regionalen Museen dazu. Eine tolle Idee!
Auf meiner Reise-Liste steht seit dem Rohrbruch ein regelmäßiger „Citytrip Berlin“. Letztes Jahr habe ich mir ein Hotel am Kurfürstendamm gegönnt, war essen mit Blick über die Dächern der Hauptstadt, shoppen in Charlottenburg und habe das Museum Futurium am Hauptbahnhof besucht und mich vom Haus der Zukunft inspirieren lassen.
Dieses Jahr steht Campen auf dem Programm – die Low-Budget-Version jenseits von Marketing-Aktionen. Es geht an den Liepnitzsee, dessen Wasserfarbe locker mit der der Côte d'Azur mithalten kann. Ich hoffe, die Temperaturen auch.
Text: Christine Neder, Fotografie: Christine Neder, Lilies-Diary.com
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