Der Ruf der Wildnis ist mächtig. Wer ihm ohne nachzudenken folgt, schadet jedoch den Tieren. Wie es auch anders geht, zeigen wir mit diesen einfachen Grundregeln.
Wilde Tiere aus der Nähe beobachten ist ein Traum, den sich viele Menschen gern einmal verwirklichen möchten. Wer sich jedoch nicht eingehend mit dem Thema befasst, kann den Wildtieren unter Umständen Schaden zufügen. Denn das schmutzige Geschäft mit den Tieren boomt. Es ist lukrativ, weil viele Reisende so naiv sind, dass sie nicht hinter die Fassaden zu schauen und sich nicht bewusst zu machen, was die Tierbeobachtung für die Tiere selbst tatsächlich bedeutet. Zugleich, und das ist die gute Nachricht, ist allerdings auch die Argumentation und Bewegung für einen verantwortungsvollen Tourismus so stark wie nie zuvor.
"Das wichtigste ist, sich immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, dass wilde Tiere nicht Animateure für den Menschen sind", stellt Ben Pearson klar, Senior Campaign Manager der australischen Niederlassung der internationalen Tierschutz-NGO World Animal Protection.
"Wer im Urlaub wild lebende Tiere beobachten möchte, sollte sich einen Ort suchen, an dem dies in freier Wildbahn möglich ist", rät er. Die nächstbeste Option sei die Suche nach einem zertifizierten Schutzgebiet, das ausschließlich Beobachtungs-Safaris anbietet, bei denen die Wildtiere ihr natürliches Verhalten voll entfalten können.
Das mag im ersten Moment etwas einschränkend klingen. Tatsächlich gibt es jedoch kein authentischeres und ergreifenderes Naturerlebnis, als das, bei dem man sicher weiß, dass sich die Tiere trotz der Gegenwart der Menschen wohlfühlen und ganz natürlich bewegen. Wen du unsere folgenden Tipps befolgst, stellt du sicher, dass dieses natürliche Gleichgewicht erhalten bleibt.
Es ist nicht leicht, dem natürlichen Instinkt zu widerstehen, der Tierwelt möglichst nahezukommen. Wissenschaftler haben sogar einen Namen dafür: Die Biophilie-Hypothese geht davon aus, dass der Mensch eine angeborene Tendenz hat, Verbindung zur Natur zu suchen - und zwar aus einer ganz natürlichen, angeborenen Liebe zum Leben. Im Interesse wilder Tiere ist es jedoch das Beste, wenn diese nicht von Menschen bedrängt oder gar berührt werden.
"Wenn ein Tourismusort die Möglichkeit bietet, mit einem wilden Tier zu reiten, es zu streicheln oder ein Selfie zu machen, besteht eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Tier zuvor systematisch misshandelt wurde, um es gefügig zu machen", betont Ben Pearson. Er nimmt damit ganz nüchtern und klar jede falsche Hoffnung und naive Vorstellung vom "Kuscheln mit Wildtieren". Das Angebot an Wildtiershows, Elefantenreiten, Delphinschwimmen und Interaktionen mit Großwildkatzen ist groß und mit dem Hype um Selfies für Soziale Netzwerke haben sich diese lukrativen Einnahmemöglichkeiten an exotischen Urlaubsorten eher noch vervielfacht. Dabei sind gerade diese touristischen Beispiele bekannt dafür, dass sie das Wohlergehen der Tiere massiv einschränken bis hin zur gezielten Tierquälerei. Selbst scheinbar harmlose Aktionen mit Wildtieren können verheerende Auswirkungen haben.
"Selbst kleinere und zahm wirkende Tiere kommen mit dem engen Umgang mit Menschen nicht zurecht", betont Ben Pearson. Als Beispiel führt er Faultiere an, die für touristische Zwecke gefangen werden und innerhalb von nur sechs Monaten aufgrund des ständigen Stresses elendig sterben.
Eine Alternative bieten Wander- oder Jeep-Safaris. Diese werden von erfahrenen, zertifizierten Führern geleitet und bieten nicht nur den Nervenkitzel, Wildtiere in ihrem Lebensraum zu beobachten. Sie tragen vor allem dazu bei, die Tiere - sowie auch die Menschen - in einem natürlichen Abstand und damit in Sicherheit zu halten.
Naturschutzgebiete bieten eine einzigartige Möglichkeit, wild lebende Arten zu beobachten und kennenzulernen, die in gänzlich freier Wildbahn nur schwer zu entdecken sind. In der heutigen Ära des Greenwashing lohnt es sich jedoch, genauer nachzuforschen, um sicherzustellen, dass die Schutzgebiete, die man besuchen möchte, tatsächlich nachhaltig und zum Wohl und Schutz der Tiere arbeiten.
"Sehen Sie genau hin, wie und wo die Tiere leben", rät Pearson. "Haben sie Raum, sich zu bewegen und zeigen sie ein natürliches Verhalten? Gibt es Schutz vor dem Wetter und einen Ort, an den sie sich zurückziehen können, wenn sie das möchten?" Das beste Indiz dafür, dass es sich um ein ernsthaft zum Wohl der Tiere betriebenes Schutzgebiet handelt, ist die Regel, dass Besucher dort niemals direkten Kontakt mit den Tieren haben.
"Trotz bester Absichten schadet das Füttern von Wildtieren mehr als es nützt", weiß Pearson. "Die fortgesetzte Fütterung macht die Tiere vom Menschen abhängig und sie können infolgedessen sogar aggressiv und gefährlich werden." In den USA und Kanada zum Beispiel sind Naturpark-Ranger häufig gezwungen, wilde Bären zu töten, die aufgrund der Fütterung ein Risiko für den Menschen darstellen. Zahlreiche Studien haben auch ergeben, dass das Füttern von Wildtieren deren Brut- und Wanderzyklus durcheinander bringt und somit ihr Leben gefährdet.
Selbst Attraktionen, die als Alternativen zu fragwürdigen Angeboten die Freiheit der wild lebenden Tiere zu respektieren scheinen, sollten kritisch hinterfragt werden. So scheint das Waschen von Elefanten auf den ersten Blick harmloser zu sein als das Reiten auf den Tieren. Pearson warnt jedoch vor Verharmlosung und Augenwischerei: "Damit Touristen einen Elefanten waschen können, ohne sich zu gefährden, ist ein hohes Maß an Kontrolle über das Tier erforderlich." Und das ist erst die Hälfte der traurigen Wahrheit. Beschäftigt man sich noch genauer mit der Materie, lernt man, dass das ständige Waschen der Elefanten und das Bedecken ihrer Haut mit Schlamm, um sie vor der Hitze kühl zu halten, nicht ihr Wohlbefinden steigert, sondern sie unter ein andauerndes Stresslevel stellt.
Ein anderes Beispiel ist das Schwimmen mit wilden Meeressäugern, die extra angefüttert werden, um sie näher an Menschen heranzuführen. In Oslob auf den Philippinen wird eine regelrechte Walhai-Schwimmindustrie betrieben. Die eine Seite der Medaille mag sein, dass damit temporär die lokale Bevölkerung einen Weg aus der Armut findet, denn der Wildlife-Tourismus boomt. Die Tatsache jedoch, dass sich die Walhaie dort nur versammeln, weil sie massiv angefüttert werden, hat Naturschützer auf den Plan gerufen, welche die Nachhaltigkeit des Projektes kritisch infrage stellen. Wie bei allen echten, nachhaltigen Projekten geht es auch im sauberen Wildlife-Tourismus darum, dass es keine "billige" Lösung gibt. Wer wahrhaft nachhaltige und authentische Erlebnisse sucht, wird zumeist ein bisschen mehr als den Durchschnitt bezahlen, kann aber dafür auch sicher gehen, dass die Wildtiere nicht gefährdet werden.
Schon gewusst, dass sich auch beim Essen zum Schutz der Tierwelt beitragen lässt? "Wir ermutigen Reisende, Dinge wie Buschfleisch zu meiden, da diese Tiere oft besonders grausam gejagt und getötet werden", sagt Pearson. Gerade in Südostasien landen noch häufig Dinge auf den Speisekarten, die äußerst fragwürdig sind, wie beispielsweise Schildkrötenfleisch oder Haifischflossen. Nicht zu verharmlosen sind auch Getränke. Der in einigen südostasiatischen Ländern beliebte sogenannte Schlangenwein wird in der Regel durch Ertränken einer lebenden Schlange in Alkohol hergestellt. Und der teuerste Kaffee der Welt, der Kaffee-Luwak, ist ebenfalls auf Tierquälerei zurückzuführen. Dabei wird eine Schleichkatzenart, die Zibetkatze, unter Käfighaltung zwangsernährt, um den Ertrag zu steigern. Die Kaffeebohnen werden im Verdauungstrakt der Tiere auf spezielle Weise fermentiert und wieder ausgeschieden. Aufgrund der Torturen, die diese Katzen erleiden, haben sie nur eine kurze Lebenserwartung.
Keine Souvenirs zu kaufen, die aus wilden Tieren hergestellt wurden, versteht sich für einen verantwortungsbewussten Wildtier-Touristen von selbst. Dazu gehört beispielsweise der Verzicht auf den Kauf traditioneller asiatischen Arzneimittel oder Schmuck aus Korallen. "Stattdessen", rät Pearson, "unterstützt der Kauf lokaler und nachhaltig produzierter Souvenirs die lokalen Gemeinschaften und Kulturen und schützt zugleich die Tierwelt."
"Andere auf das Thema des zerstörerischen Wildtier-Tourismus aufmerksam zu machen, ist eine der besten Maßnahmen, um das Problem zu stoppen", ermuntert Pearson die Reisenden zum bewussten Handeln. Wer die sozialen Netzwerke dafür nutzt, auf dem Gebiet zu informieren, tut demnach wesentlich besser daran, als mit wilden Tieren für einen Kameraklick zu posen.
"Wir wissen, dass die meisten Menschen Naturschauplätze besuchen und Tiere anfassen und streicheln möchten, weil sie tierlieb sind", ist sich Pearson der gutwilligen Grundeinstellung der meisten Touristen sicher. Hilfreich wäre dennoch, wenn sich noch mehr Menschen vor Reiseantritt über die Auswirkungen des Tourismus auf das Leben der Wildtiere informieren würden. Dann nämlich sei es weniger wahrscheinlich, dass sie Touranbieter unterstützen, die Tiere quälen, um sie zum Amüsement für Touristen gefügig zu machen und auszubeuten.
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Original-Artikel: Sarah Reid/Lonely Planet international
Deutsche Fassung: Ines Wagner