KolumneDas Gute liegt so nah!

© Jessica Jungbauer
© Jessica Jungbauer

Wie schreibt man eine Reisekolumne in Zeiten von Corona? Wird es das Reisen, wie wir es kannten, jemals wieder geben? Wie und wo können wir uns in Zukunft bewegen, wenn schon allein der Weg zum Supermarkt voll möglicher Gefahren ist? All das fragte sich Jessica Jungbauer aus Berlin, als ihre Auszeit in Asien ins Wasser fiel und sie eine Alternative suchte.

 

Der Sommerurlaub, wenn überhaupt, sollte dieses Jahr vieles sein, nur nicht weit weg: ein schöner Ort in Deutschland mit Sonnengarantie und am besten – ohne viele Mitmenschen. Und so fand ich mich bei 34 Grad im Juli auf einer dreiwöchigen Kanureise auf der Donau wieder, vom Allgäu nach Passau bis zur deutsch-österreichischen Grenze. Corona-gerechter und nachhaltiger geht es wohl kaum. Dazu muss man wissen: Ich bin in meinem Leben genau einmal Kanu fahren gewesen – und dabei zweimal gekentert. Über Kleinanzeigen hatten mein Mann und ich ein geschätzt 60 Jahre altes Faltboot gekauft.

 

Schon nach dem ersten Tag paddeln hatten wir Muskelkater in den Armen und wussten nicht, wo wir schlafen sollten. Als wir das Boot einen steilen Berg in Richtung Gasthof schoben, sprach uns ein Pärchen an, das vor seinem Haus am Lagerfeuer saß. Wir konnten unser Kanu in ihrer Scheune abstellen und unser Zelt in ihrem Garten aufbauen, kochten Tortellini auf dem Gaskocher und saßen noch bis spät in die Nacht beisammen – natürlich mit Abstand. Am zweiten Tag bekamen wir das erste Leck ins Boot, aber nichts, was nicht ein wenig Gaffer Tape hätte retten können.

 

Gefährlicher waren da die Sommergewitter. Da hieß es schnell das Boot befestigen, Unterschlupf finden, in die Hocke gehen, hoffen. Einmal kamen wir klatschnass bei einem bayrischen Gasthof an, dessen Wirt extra für uns die Küche länger offen ließ. Große Gastfreundschaft sowie die Nähe zur Natur entschädigten für viele Strapazen auf der 425-Kilometer-Strecke: wenn die Schwanenfamilien vorbeizogen, wenn die Biber aus ihren Bauten kamen, wenn die Sonne die steilen Felsküsten am Donaudurchbruch in goldenes Abendlicht hüllte. Am Ende unseres Fluss-Abenteuers sah die Unterseite des Kanus aus wie ein Flickenteppich – und jede einzelne Schramme hatte eine Geschichte zu erzählen.

 

Abends auf den Zeltwiesen beim Gespräch mit Kanu- und Fahrradreisenden wurde schnell klar: Für alle waren es Alternativziele, um im Freien etwas Abstand vom Alltag zu finden. So wie mein Mann und ich. Wir hatten Anfang des Jahres unsere Wohnung in Berlin gekündigt, alle Möbel verkauft und unser Leben in zwei 50-Liter-Rucksäcke gepackt. Der Plan: Ein Traveller-Jahr mit dem Zug von Deutschland nach Asien. Dann kam Corona – und die Erkenntnis, dass unsere Heimat so viel schöner ist als gedacht. Goethe hatte es längst gewusst: Sieh, das Gute liegt so nah.

 

Bewusster reisen, regionale Ziele erkunden, wenn möglich mit dem Fahrrad, Bus oder der Bahn, kleine Unternehmen vor Ort unterstützen und auf Bio-Siegel achten. Und wenn eine Fernreise mit dem Flugzeug nötig ist, dann so lange wie möglich vor Ort bleiben. Alles Dinge, für die sich der nachhaltige Tourismus schon seit Jahren einsetzt – als Mittel gegen Klimawandel, Umweltverschmutzung und Overtourism. Alles Themen, die auch während und nach Corona noch aktuell sind und dringender denn je sein werden. Vielleicht ist es also gar nicht so schlecht, wenn wir nicht wieder zum Reisen wie in Vor-Corona-Zeiten zurückkehren?!

 

Text & Fotografie: Jessica Jungbauer

Reise-Journalistin & Fotografin

Instagram: @jessicajungbauer

 

Jessicas Kolumne erscheint im Lonely Planet Magazin

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