KolumneCaravan-Glück in Corona-Zeiten

Camping war Andrea Bierle bisher fremd, ©joserpizarro/shutterstock
Camping war Andrea Bierle bisher fremd, ©joserpizarro/shutterstock

Parzellen mit Platznummern, Nasszellen und Zäune – das verstand Andrea Bierle unter Camping. Und so lenkte sie jahrelang geschickt vom Urlaub im Wohnmobil ab – dem Traum ihrer Tochter. Bis die Pandemie kam und diese Art des Reisens als die einzig sinnvolle Form des Unterwegsseins erschien.

 

Alles begann auf der Reisemesse. Während ich berufsbedingt von Halle zu Halle lief, hatte meine damals noch kleine Tochter einen Heidenspaß in der Caravan-Abteilung. Ausgestattet mit drehbaren Sitzen, futuristischen Bädern, Etagenbetten und Fernseher waren diese XL-Höhlen das reinste Paradies. Ab da träumte mein Kind vom Urlaub im Camper. Also gab’s zum nächsten Geburtstag einen gemieteten Bulli, mit dem wir ein Wochenende an der Ostsee verbrachten. Das feuerrote (Spiel-)Mobil hatte zwar Nostalgiecharme, aber nichts gemein mit den fetten Fahrzeugen der Tourismus-Schau.

 

Der Campingplatz? Ein einziges Spießer-Klischee: abgezirkelte Parzellen, Gartenzwerge sowie selbst ernannte Aufpasser, die einen schon auf dem Weg zur morgendlichen Toilette mit Zurechtweisungen überschütteten. Kurz, es sollte unser erstes und letztes Campingabenteuer sein. Bis Corona kam – und Mann (ehemaliger Pfadfinder) und Tochter die Gunst der Stunde erkannten. Denn ein Wohnmobil-Urlaub erschien jetzt die einzig sinnvolle Form, sich unterwegs frei und vor allem geschützt zu fühlen.

 

Euphorisiert durch die Aussicht auf einen Roadtrip begannen meine zwei, sich durch sämtliche Motorhome-Portale zu googeln und wurden schließlich bei der privaten Vermietung „PaulCamper“ fündig: Ein Alkoven-Modell sollte es sein, also mit integrierten Betten, denn keiner von uns hatte Lust auf ständiges Umbauen in der Nacht. Als wir das Gefährt in Süddeutschland abholten, fühlte es sich ein bisschen an wie ein Blind Date – schließlich stimmen Bild und Realität selten überein.

 

Doch unser Caravan befand sich in einem T op-Zustand und war mit seinen cremefarbenen Ledersitzen, edlen Polsterbezügen und sogar Sektgläsern geschmackvoll wie eine Suite im Boutiquehotel. Gott sei Dank ließ sich unsere Tochter nicht nur vom schönen Schein blenden, sondern filmte die Einführung durch den Eigentümer mit dem Handy. Wo befindet sich der Abwassertank? Wie funktionieren die Dreh-Aussteller der Dachfenster? Was ist das 12-V-Verteilungsmodul?

 

Kaum waren wir auf der Autobahn Richtung Zürich, ging auch schon der Kühlschrank aus, den wir zuvor bis obenhin gefüllt hatten, damit unsere Reisekasse nicht bereits am ersten Tag bei den Eidgenossen Löcher wie ein Schweizer Käse aufwies. Doch dank unseres Mini-Videos à la „Alkoven für Anfänger“ konnten wir das Problem schnell lösen.

 

Unser erster Stopp: Luzern. Der Campingplatz befindet sich direkt am Vierwaldstättersee und kostet pro Tag 20 Franken – davon könnte man sich in den umliegenden Hotels noch nicht einmal ein Frühstück leisten. Es würde vielleicht für zwei Stunden Parken in der City reichen. War aber gar nicht nötig, denn die befindet sich fußläufig, und wir durften ganz entspannt und autofrei die Sehenswürdigkeiten genießen.

 

Bei unserem nächsten Ziel am Lago Maggiore war im Stellplatz-Preis sogar das Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln für den ganzen Kanton inklusive. Und so besuchten wir Ascona und Lugano mit dem „Tessin-Ticket“. Spätestens da wurde mir klar: Mein Ostsee-Wohnwagen-Trauma hatte nichts mit dem #vanlife von heute zu tun. Die Anlagen, die wir ansteuerten, waren angenehm gepflegt, ohne penetrante Platzregeln, die Sanitäranlagen hatten Spa-Niveau und unsere Mit-camper waren eine sympathische Mischung aus jungen Familien, freundlichen Senioren und Sportlern, die mit ihren Mountainbikes die Region erkundeten. Corona hat uns in die Schranken gewiesen – und gleichzeitig eine neue Form des Reisens eröffnet. Wir planen bereits den nächsten Globetrotter-Urlaub dieser Art.

 

Text: Andrea Bierle

 

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