Die Vielfalt der europäischen Landschaften ist so spannend wie die Wanderrouten, die sie in alle Himmelsrichtungen durchziehen. Zusammengefasst in einem Buch machen sie Lust, sofort die Wanderstiefel zu schnüren.
Quer durch Europa führt ein hervorragendes Netz an Wanderwegen. Zu verdanken sind sie den Romantikern, die ausgehend vom späten 18. und 19. Jahrhundert Generationen von Menschen mit ihren Werken beschworen, nach draußen zu gehen - zur Erholung oder nur aus purer Freude. Zwei Jahrhunderte später ist der Kontinent in alle Richtungen von einem dichten System markierter Wege überzogen. Sie reichen von einfachen alpinen Tagestouren bis zu den legendären Grandes Randonnées und Europäischen Fernwanderwegen. Das Buch "Legendäre Wanderrouten in Europa" stellt die besten Tipps passionierter Reiseautoren, die zugleich erfahrene Wanderer, Wildniscamper, Verfechter des "slow travel" und echte Abenteurer sind, aus ganz Europa zusammen. Jede Wanderung in dieser Sammlung ist auf ihre Art legendär: Sei es wegen der spektakulären Landschaft oder der Entschlossenheit, die es erfordert, ein ganzes Land zu Fuß zu durchqueren.
Den Reiz macht auch die Unterschiedlichkeit der Kulturen aus, denen man beim Wandern näher kommt, egal ob man in Lettland durch Moore wandert, auf den Spuren der alten Griechen schreitet oder die höchsten Gipfel des Balkans erklimmt. Das Buch soll als Inspirationsquelle dienen, die Wanderstiefel zu schnüren und loszuziehen, um etwas Neues zu entdecken. Hier sind ein paar der schönsten Touren zusammengestellt.
In Islands Hinterland scheinen Elfen mit arktischer Energie ihre Zepter zu schwingen. Wer zwischen Vulkanen und Gletschern wandert, erlebt eine Symphonie aus Wind, Fels, Feuer und Eis - in einer spektakulären Mondlandschaft, die geradezu jenseitig wirkt. Islands schönster Trail ist der Laugavegurinn, auf dem man entweder zelten kann oder in einfachen Hütten übernachten, von denen der Tourismusverband einige betreibt. Der Weg geht von Landmannalaugar nach Skógar. Während der viertägigen Wanderung über 77 Kilometer kann es durchaus sein, dass man alle vier Jahreszeiten erlebt. Die Álftavatn-Hütte markiert die Hälfte des Trails, im Sommer ist sie von Zelten umstellt. Der Trek durch Fimmvörðuháls ist herausfordernd, aber er gilt als lohnendster Abschnitt des Trails.
Der mitten durch den finnisch-lappländischen Oulanka-Nationalpark verlaufende 82 Kilometer lange Karhunkierros gilt als schönster Fernwanderweg Finnlands. Vier bis sechs Tage dauert die Wanderung von Hautajärvi nach Ruka, sie führt an eiskalten Flüssen entlang, über Heidehügel und tief in die Taiga hinein. Während im Sommer die Mücken plagen, ist es besonders reizvoll im Herbst, wenn sich die Büsche unter der Last von Blaubeeren und Moosbeeren biegen. Dann lebt die Landschaft vom flammenden Orange der Birkenblätter und leuchtendem Heidekraut. Die Temperaturschwankungen zwischen Sommer und Winter betragen 60 °C. Aufgrund der unterschiedlichen Mikroklimata sind im Park seltene Pflanzen- und Tierarten zu Hause. In regelmäßigen Abständen gibt es Berghütten, die im Sommer oft voll sind. Daher lohnt es sich, ein Zelt dabeizuhaben.
Wer der herrlichen Amalfiküste auf dem Pfad der Götter folgt, wird mit grandiosen Ausblicken auf sirenengeplagte Inseln und alte Weingüter belohnt, während sich der Weg in den Felshängen dahin schlängelt. Der Sentiero degli Dei geht über acht Kilometer von Bomerano nach Positano. Das kleine, fast verschlafen anmutende Dorf Nocelle liegt auf 400 Metern und beherbergt kaum mehr als eine kleine Trattoria, dafür ist es malerisch umringt von Weingütern und Zitronenhainen. Ab hier kann man den Bus bis Positano nehmen - oder es den Vorfahren nachtun, die keine andere Wahl hatten, und die 1.700 Stufen bis hinunter zum Meer nach Positano steigen. Von April bis Juni und September bis Oktober ist es etwas ruhiger und auch kühler als in den Hochsommermonaten.
Dem berühmtesten Kanal Frankreichs von der „rosaroten Stadt" Toulouse bis zum Dornröschenschloss von Carcassonne kann man zu Fuß folgen. Die meisten der prächtigen Platanen am Ufer wurden bereits in den 1830er Jahren als Schattenspender gepflanzt. Im Gegensatz zu einer Bootsfahrt fängt die Wanderung die Essenz Südfrankreichs ein: Höhenburgen, verschlafene Dörfer, grüne Weingärten, Felder mit duftendem Lavendel und Sonnenblumen. Die 110 Kilometer von Toulouse nach Carcassonne sind in fünf bis sieben Tagen zu schaffen, während auf den alten Treidelpfaden entlanggeht. Übernachten kann man in Hotels, chambres d’hôtes (Gästezimmern) und Campingplätzen, es gibt es ausreichend Cafés und Restaurants. Mehr als 60 Schleusen, 40 Aquädukte, unzählige Zuflusskanäle und Frankreichs erster unterirdischer Kanaltunnel verteilen sich über den gesamten Verlauf des Canal du Midi. Donneville, Renneville, Castelnaudary, Bram und Carcassonne sind lohnende Stopps.
Wanderer, die in der abgeschiedenen Grenzregion von Montenegro, Albanien und dem Kosovo auf dem Peaks of the Balkans Trail unterwegs sind, erleben in diesem erstaunlichen Mini-Yosemite des Balkans viel Gastfreundschaft. Jahrzehntelang dienten die Verfluchten Berge dem albanischen Diktator Hoxha als geologischer Schutzwall, Zutritt war für die Zivilbevölkerung verboten. Von seiner Paranoia zeugen noch heute mehr als 170.000 Bunker. Zwischen mächtigen zu Geröllfeldern zerbröckelnden Kalksteinbergen liegen Wildblumenwiesen voller Schmetterlinge. Für die 105 Kilometer von Vusanje in Montenegro nach Rekë e Allagës im Kosovo braucht man fünf bis sechs Tage. Wandern auf eigene Faust geht, aber ein Guide ist ratsam, beispielsweise von Zbulo in Albanien oder Butterfly Outdoor im Kosovo. Übernachtet wird in Gästehäusern, Berghütten und Lodges.
Auf dieser anspruchsvollen Wanderung durch das seenreiche Gebirge im Südwesten Bulgariens kann man erhabene Gipfel erklimmen und sich in alten Klöstern in Demut üben. Der Rila-Nationalpark, mit 810 Quadratkilometern Bulgariens größter Nationalpark, ist von Gletscherseen und Flüssen durchzogen. Tatsächlich bedeutet Rila „Berge von Wasser". Größter Besuchermagnet sind die Sieben Seen, darunter Tränen- und Augensee. Die 36 Kilometer lange Tour von der Bergretterschule in Maljowiza zum Rila-Kloster ist in zwei Tagen zu bewältigen. Von Juni bis Oktober sind die Pfade schneefrei. Das Krusharskata House und das Pchelina sind einfaches Hotels, letzteres liegt nahe dem Kloster.
Der mehrtägige transkaukasische Trail führt über Hochgebirgspässe und durch magische Flusstäler entlang typisch georgischer Turmhaus-Dörfer. Er kann allein gegangen werden. In Gesellschaft eines Guides erlebt man jedoch viel mehr von der Kultur der Einheimischen - und hat den Vorteil, dass das Gepäck transportiert wird. In der epischen Landschaft wechseln sich durch Erosion entstandene Felskamine, bewohnte und verlassene Dörfer und dichte Wälder ab. 75 Kilometer sind es von Omalo (Tuschetien) nach Shatili (Chewsuretien) und 18 von Roshka nach Juta (Kasbegi). Übernachtet wird in einfachen Hotels, Gasthöfen und Pensionen, ein Zelt wird für die Nacht zwischen Girevi und Ardoti benötigt. Wasserflaschen, Verpflegung und Ausrüstung samt reichlich Wodka stellen die Guides.
Der neue Reiseführer von Lonely Planet zeigt Dir unvergessliche Wanderrouten auf unserem Kontinent. Schau ihn dir doch hier einmal an.
Text: Ines Wagner