Schöne Orte ziehen viele Besucher an, auch in Island. Die etwas abgelegenen Westfjorde bilden da eine erfreuliche Ausnahme. Dort kann man noch ungestört die Natur genießen - und dabei helfen, sie zu schützen.
Die Auswirkungen des Tourismus in Island sind vielfach dokumentiert worden. Zu den alarmierendsten gehören beispielsweise die Folgen eines Justin-Bieber-Musikvideos aus dem Jahr 2015. Es hatte einen Hype um eine abgelegene Schlucht ausgelöst, die von Besuchern daraufhin überrannt wurde. Die Behörden sahen sich schließlich gezwungen, sie für die Öffentlichkeit zu sperren, damit die Natur sich regenerieren kann. Seither wurden zahlreiche Verhaltensregeln für Camper neu erarbeitet, um Landschaft, Fauna und Flora zu schützen. Die Probleme, die durch ein zu hohes Aufkommen an Touristen verursacht werden, beschränken sich in Island allerdings meistenteils auf den viel besuchten Süden des Landes. Wer sich aufmacht, entlegenere Gebiete zu besuchen, entgeht den Menschenmassen und unterstützt zugleich Regionen, die den Tourismus tatsächlich brauchen.
Das gilt vor allem für die abgelegenen Westfjorde im äußersten Nordwesten Islands. Die eindringlich schöne Region nimmt bisher weniger als zehn Prozent des isländischen Tourismus auf und bemüht sich aktiv um mehr Besucher. In der stillen Landschaft schlängeln sich einsame Straßen vorbei an malerischen Fjorden und gewaltigen Bergen, unterbrochen von kleinen Fischerdörfern, die sich vor Jahrhunderten in diesem unerbittlichen Terrain niedergelassen haben. Hier sind die besten Tipps.
Die Reise zu den Westfjorden erfolgt beispielsweise mit dem Flug von Reykjavík in die Hauptstadt der Region, Ísafjörður. Die Propellermaschine neigt sich im Sinkflug entlang des Fjords stark nach links und vollführt beim Anflug auf die Landebahn eine 180-Grad-Drehung. Nach dem Ausstieg aus dem Flugzeug wird man sogleich von der Kraft der Berge, die rings herum in die Höhe ragen, überwältigt.
Nach der Ankunft lohnt es sich zunächst einmal, Ísafjörður zu erkunden, einen gemütlichen kleinen Ort, in dem Gebäude aus dem 18. Jahrhundert von einer langen Geschichte der Seefahrt zeugen. Die Stadt ist voller netter, kleiner Lokale. Im Heimabyggð kann man gut zu Mittag essen, beispielsweise einen schmackhaften Rote-Bete-Eintopf, gefolgt von einem köstlichen Kaffee in angenehmer Atmosphäre, die noch gemütlicher wird, wenn draußen der Regen herunter prasselt.
Der winzige Ort beherbergt ein Kleinod, das Museum of Everyday Life. Es dokumentiert das Leben der Einwohner auf humorvolle, authentische und oft ergreifende Weise. An einer Wand sind Kopfhörer über Paaren von Schuhen angebracht. Dort kann man sich Geschichten anhören, die von den Besitzern dieser Schuhe erzählt werden. An anderer Stelle belegen Fotos und Briefe in alten gebundenen Büchern das Leben, den Alltag, die Sorgen und Glücksmomente der Einwohner des entlegenen kleinen Städtchens.
Von Ísafjörður geht es weiter Richtung Osten nach Súðavík, wo düstere graue Wolken um schneebedeckte Berggipfel über einem metallisch blauen Meer, leuchtend gelb-grünem Gras und schwarzen Felsen wirbeln. Das dortige Arctic Fox Center ist einen Besuch wert. Auf dem nahegelegenen Hornstrandir wird seit Jahren der Polarfuchs untersucht, und die Ausstellung beschreibt das Leben der Tiere, ihre Beziehung zum Menschen und ihren Lebensraum. Das Zentrum befindet sich im renovierten Gehöft von Eyrardalur – einem der ältesten Gebäude der Gegend. Das eigentliche Highlight aber ist ein verwaister Fuchs, der auf dem Gelände lebt und auf den Namen Móri hört. Einmal von Menschen aufgezogen, können Polarfüchse nicht mehr in die Wildnis entlassen werden, und Móri ist dadurch zum Star des Gehöfts geworden.
Im verschlafen wirkenden Flateyri, das in dramatischer Lage zwischen wachsamen Bergen in den Önundarfjörður ragt, lädt eine kleine alte Buchhandlung, das älteste Originalgeschäft des Ortes, zum Stöbern ein. Im Bergshús, einem ehemaligen Krankenhaus, das stilvoll und gemütlich in ein Haus mit Blick auf das Wasser umgebaut wurde, kann man gut übernachten.
Die Weiterfahrt nach Bíldudalur am nächsten Tag bietet eine der schönsten Abschnitte der Reise: eine atemberaubende Fahrt entlang schimmernder Fjorde und hinweg über weiß verhüllte Berge. Hinter jeder Ecke öffnet sich weiterer, seit Jahrtausenden unveränderter, spektakulärer Anblick auf die ursprüngliche Landschaft. Der Höhepunkt ist ein Halt am Dynjandi, dem zu Recht berühmtesten Wasserfall der Westfjorde. Wer zu der tosenden Kaskade hinaufsteigt, wird mit jedem Höhenmeter mit immer spektakuläreren Ausblicken auf den Fjord belohnt.
Das winzigen Bíldudalur hat schließlich eine beneidenswerte Lage am ruhigen Arnarfjörður. Nach einem Besuch des unterhaltsamen Seeungeheuer-Museums, in dem es viele Legenden über Sichtungen der ungewöhnlichsten Meereskreaturen gibt, bietet sich eine Walbeobachtungstour mit Westfjords Adventures an. Auf dem Fjord zu sein und die Landschaft zu bewundern, wäre an sich schon beeindruckend genug, aber die Chance, die majestätischen Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum zu sehen, setzt dem Ausflug noch die Krone auf. Die Tour wird von dem Ehepaar Fríða und Gummi geleitet, die auch Gastgeber im gemütlichen B&B Harbour Inn sind. Abendessen kann man ausgezeichnet im Vegamót, das, wie nicht anders zu erwarten, erstklassigen Fisch und Chips sowie ausgezeichnete Burger serviert.
Es lohnt sich, die Reise zu den Westfjorden am Rauðasandur im Südwesten abzuschließen. Der vielleicht abgelegenste Strand der Welt beeindruckt seine Besucher mit Sand, der in Rot-, Orange- und Gelbtönen leuchtet. Von Brandung durchzogen und von einer riesigen azurblauen Lagune umgeben, ist es ein außergewöhnlich schöner und ruhiger Ort. Bei Ebbe kann man zum Lagunenrand hinauslaufen und nach Robben Ausschau halten. Ein etwa 20 Kilometer langer Küstenpfad verläuft zwischen Rauðasandur und den Vogelklippen von Látrabjarg. Es ist sehr wahrscheinlich, an diesem riesigen, windgepeitschten Strand keine Menschenseele anzutreffen - ein berauschendes Gefühl der Freiheit inmitten der herrlichen, unverfälschten Natur.
Der perfekte Abschied von den Westfjorden ist nach diesem Stranderlebnis ein Besuch in Hellulaug, einem natürlichen Thermalbecken in einem felsigen Küstenabschnitt, etwa fünf Fahrminuten vom Fähranleger Brjánslækur entfernt. Wie so ziemlich überall in den Westfjorden ist es auch hier ziemlich wahrscheinlich, dass man die 38 Grad Celsius warme Quelle am Strand ganz ungestört genießen kann - und eine wunderschöne Aussicht auf das Meer dazu. Wem es zu warm wird, der kann sich im Meer abkühlen.
Islands Westfjorde ist eine Region, die von Lonely Planet in die Liste "Best in Travel 2022" gewählt wurde. Mehr zu den Städten, Ländern und Regionen erfährst Du im neuen Reiseführer - schau ihn dir doch hier einmal an.
Text: Tom Stainer/Lonely Planet International
Deutsche Bearbeitung: Ines Wagner